Sternenmantel
Dialoge mit Artefakten des Diözesanmuseums Bamberg
2014
Painting and Graphic Art
Location-based Artefact Correspondence Art
Dialoge mit Artefakten des Diözesanmuseums Bamberg
2014
Painting and Graphic Art
Location-based Artefact Correspondence Art
Dr. phil. Dr. theol. Matthias Scherbaum, Katalogtext zur Installation Sternenmantel
Die Doppelinstallation „Sternenmantel“ von Jörg Länger wurde anlässlich einer Sonderausstellung für das Bamberger Diözesanmuseum im Jahr 2014 geschaffen. Die beiden Werke Längers befanden sich ursprünglich links und rechts vom bekannten Sternenmantel Kaiser Heinrichs II. im ersten Stock des Diözesanmuseums. Längers „Sternenmantel“ nimmt auf das Bamberger Original in verschiedener Hinsicht Bezug. Er setzt damit seine künstlerische Leitidee der Protagonisten um, die Idee, aus 23.000 Jahren Kunst- und Kulturgeschichte bestimmte Elemente auszuwählen, um sie im eigenen Schaffen neu ins Werk zu setzen. Es ist die Idee eines Gebens und Nehmens, eines Dialogs mit der Kunst- und Kulturgeschichte der Menschheit, was eine sehr wertschätzende Haltung gegenüber dieser Geschichte und ihren künstlerischen Leistungen impliziert.
Die explizite Bezugnahme auf den Bamberger Sternenmantel geschieht zum einen durch den Titel, zum anderen durch diverse inhaltliche und darstellerische Parallelen. So entsprechen den goldenen Sternenapplikationen auf dem Bamberger Sternenmantel die Brandlöcher auf Längers „Sternenmantel“ – eine ehemals vom Künstler getragene Leinenjacke, die auf eine Alu-Dibond-Unterlage aufgetackert wurde und rechts von Heinrichs II. Sternenmantel angebracht wurde –, Brandlöcher, hinter denen Blattgold durchschimmert. Für die Erzeugung der Brandlöcher wurde Weihrauchkohle verwendet, was auf eine sakrale Dimension des Kunstwerks hinweist. Die Ummalung von Längers „Sternenmantel“ mit blauer Farbe stellt einen Bezug zu dem blauen Trägerstoff von Heinrichs Sternenmantel her. Zu diesem einen der beiden Längerschen „Sternenmäntel“, verhält sich der zweite, links von Heinrichs Sternenmantel angebrachte, spiegelsymmetrisch. Hier lässt sich erkennen, dass ebenfalls auf einer Alu-Dibond-Unterlage ehemals dieselbe Leinenjacke aufgetackert ebenfalls mit blauer Farbe ummalt, jedoch später wieder abgenommen wurde, so dass sie sich nur als weißes Negativ in dem tiefen Blau abzeichnet. Auch hier wurde eine Schicht Blattgold aufgetragen, die als größere Fläche erkennbar ist, auf der sich noch Rußspuren der Brandlöcher finden, da Länger die ästhetische Arbeit an der Jacke zum großen Teil zunächst auf der linken Installation verrichtet hatte.
Betrachtet man den linken „Sternenmantel“ genauer, sieht man einen fünfzackigen Stern, den Länger mit grauer Ölkreide aufgetragen hat. Zahlensymbolik spielt hierbei eine Rolle, wobei die Zahl Fünf für den Menschen steht – eine Parallele zu dem Umstand, dass Länger für dieses Werk seine eigene Leinenjacke verwendet hat. Hierdurch wird auch ein deutlicher Bezug zu den achtzackigen Sternen des Bamberger Sternenmantels hergestellt. Der Form des Fünfsterns entsprechen exakt – und damit wird eine bemerkenswerte innere Korrespondenz der beiden „Sternenmäntel“ Längers über deren bloße Symmetrie hinaus realisiert fünf auf dem oberen Bildrand des rechten „Sternenmantels“ angebrachte runde Stoffreste, die positive Kerne der Brandlöcher sind. Somit verhalten sich die beiden „Sternenmäntel“ Längers aus vielerlei Hinsicht wie Positiv und Negativ zueinander. Die Zuordnung gerät allerdings ins Oszillieren und erzeugt ein ästhetisches Changieren, was der Doppelinstallation eine große Dynamik verleiht und beide Bilder zu einem einzigen pulsierenden Kunstwerk verschmilzt.
Siehe auch M. Scherbaums Rezension “Der Sternenmantel und die Ästhetik der Protagonisten. Große Kunst von Jörg Länger im Bamberger Diözesanmuseum.”
Jörg Länger, Katalogtext zur Installation Sternenküche
Die Arbeit zeigt das Segment „Küche“ aus der „Sammlung Länger“1) in einem maßstabsgetreuen Photo: eine Regalwand mit zur Front offenen Kisten, darinnen Küchenutensilien. Auf diese Fotowand wurden mittels Magnetenkraft die originalen Deckel der abgebildeten Kisten frei platzierbar praktiziert.
Auf den Deckeln sind Motive des Sternenmantels Heinrichs II. nachempfunden und prangen am irdischsten Ort der die physische Lebensgrundlage spendenden Küche, mit dem dort gehüteten Herdfeuer Nahrung und Wärme und den Ort für Kommunikation seit alters her gebend.
Hier kann der Betrachter mit aktiv werden: nicht jedoch einen Topf aus der Kistenwand hervorholen und ein Essen bereiten, sondern die Sternenbildabbilder (die Schicksalsfäden?), die Kreise und Achtecke der ehernen Gesetze des Firmamentes, auf der irdischen, quadratischen Küchenstruktur ganz eigenwillig anordnen.
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1) Die Sammlung Länger ist ein Kunstsparten übergreifendes Projekt, das seit Mitte der 80er Jahre mit existenzieller Intensität begonnen und immer wieder in verschiedenen Varianten in unterschiedlichen Kunstformen aufgegriffen wurde.
Der Werkzyklus basiert auf dem von Timm Ulrichs u. a. aufgestellten Postulat „Ich bin eine Skulptur (ein Kunstwerk)“. Der Körper ist das dem gestaltenden Ich nächst liegende stoffliche Material, er ist seine künstlerische „materia prima“, ein für den Künstler immer erreichbarer Urstoff, leichter verfügbar als Pigment und Leinwand.
Das dann nächste zur Hand liegende Material, die „materia secunda“ – so erweitert Jörg Länger Timm Ulrichs’ Postulat – sind die Habseligkeiten des Künstlers, die ihn wie eine Art zweiter Hülle umgeben.
Mittels Kaviarkisten im Format 38 x 38 x 37 cm wurde aus Ansammlungen von Schuhen, Hemden, Tellern, Büchern, Aufzeichnungen, Schraubendrehern etc. ein Kosmos generiert. In diese Struktur wurden fast alle Gegenstände des Haushalts, der Werkstatt und des Ateliers des Künstlers eingeordnet, weshalb diese nicht größer als 34 x 34 x 32,5 cm (Kisteninnenmaß) sein durften.
Die flexiblen Kistensegmente boten große gestalterische Möglichkeiten: Verschiedene Aufbauten wurden realisiert, daheim, museal oder „on the road“.
Bei einem musealen Aufbau mit Performance notierte Länger genau, was er für seinen täglichen Bedarf außerhalb des Museums benötigte.
Durch die künstlerischen Werkprozesse kommt Länger zu einer intensiven, bewusstseinsbildenden Auseinandersetzung mit seiner „materia secunda“: Habseligkeiten, Werkstattbedarf, biografischen Ablagerungen etc., so dass er aus der sinnlich-konkreten Erfahrung heraus sich selbst fragt: „Was braucht Länger wirklich? Was ist notwendig, wichtig, behaltenswert, was entbehrlich, was einfach schön zu haben? Was fehlt aus welchen Gründen? Wie verhält sich die Ästhetik der Hausrat-Anordnung zur existenziellen? – Welche Konsequenzen entstehen?“
Die Frage nach der materiellen Lebensgestaltung ist von aktueller Weltbedeutung, da die Ausbeutung unserer irdischen Ressourcen nicht mehr beliebig fortführbar ist: was steht mir zu? Eine Frage der Vernunft ist nun gleichzeitig eine wüste Provokation! Dem „Exportweltmeister Deutschland“ wird vorgeworfen: Das Volk konsumiere zu wenig! Weltökonomisch verantwortungsvoll ist demnach, wer sich fragt: „Was brauche ich NICHT?“ – und das dann kauft!
Es geht um Bewusstseinsbildung: sowohl sich selbst mit seinen Impulsen und Bedürfnissen, als auch die Welt mit den ihren kennenzulernen. So kann der verantwortungsvolle Umgang mit den irdischen Gütern auch dem Menschen selbst neue Möglichkeiten eröffnen: Wenn die Lebenswelt nicht übervoll von materiellem Besitz und dem besessenen Gieren nach „mehr“ ist, haben metaphysische Schätze eher wieder Platz in Seele und Geist, und der Mensch kann frei(er) der Ganzheit von Überirdischem und Alltag näher kommen.