Frisch gewaschen in die Zeitenwende
Eine Weihnachtskrippe auf einem Wäscheständer,
mit einem Wandbild dahinter.
2020
Painting and Graphic Art
Clotheshorse Art
Eine Weihnachtskrippe auf einem Wäscheständer,
mit einem Wandbild dahinter.
2020
Painting and Graphic Art
Clotheshorse Art
„Quod est inferius, est sicut quod est superius, et quod est superius, est sicut quod est inferius, ad perpetranda miracula Rei Unius.“
„Was unten ist, ist wie das, was oben ist, und was oben ist, ist wie das, was unten ist, um das Wunder der Einheit zu vollbringen.“ 1
Text zur Krippen-Installation als PDF
Titel- und Materialangaben der Krippen-Installation als PDF
Trio Natale — Eine Betrachtung von Patrik Scherrer als PDF
Titel, Maße, Materialangaben und Texte
sind auch auf der Seite eingebunden unter der Bildergalerie zu finden
2020, Installation, gesamt ca. 80 x 160 x 80 cm
bestehend aus:
– Wandbild, Gesso auf Goldgrund auf Holz, 70 x 70 cm
Protagonisten nach Raffael, Sixtinischen Madonna, 1512, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
– Wäscheständer, Blech, weiß lackiert mit rotem Sicherungsring, 80 x 90 x 53 cm.
– 16 Wäscheklammern, Holz, Metallfeder, je 7,5 x 1,5 x 1 cm.
– 8 Krippenfiguren, Graphitstift auf Nessel, doubliert, zwischen 11 x 15 und 18 x 18 cm.
2021, Installation, gesamt ca. 80 x 150 x 150 cm
bestehend aus:
– Wandbild, Gesso auf Holz, 150 x 150 cm
Protagonisten nach unbekanntem Künstler, Marien-Plastik, St. Michael, Rosenheim, ca. frühes 20. Jh.
– Wäscheständer, Blech, weiß lackiert mit rotem Sicherungsring, 80 x 90 x 53 cm.
– 16 Sturm-Wäscheklammern, Holz, je 11,7 x Ø1,4 cm.
– 8 Krippenfiguren, Graphitstift auf Nessel, doubliert und auf Alu-Dibond kaschiert, zwischen 11 x 15 und 18 x 18 cm.
Protagonisten der Krippenfiguren im Einzelnen:
- Maria mit Jesuskind nach Matthias Grünewald, Engelskonzert und Menschwerdung Christi, Isenheimer Altar, 1512–16, Musée d’Unterlinden, Colmar, Frankreich.
- Josef nach Francesco di Giorgio Martini, Geburt Christi, 1490–95, Basilica of San Domenico.
- 2 Hirten nach Giorgione, Anbetung der Hirten, um 1500, Gemäldegalerie, Kunsthistorisches Museum Wien, Österreich.
- Hl. 3 Könige nach unbekanntem Künstler, Die Hl. Drei Könige, 1120–1145, St. Albans Psalter, Dombibliothek, Hildesheim.
- Engel nach Jan Gossaert, Anbetung der Hl. 3 Könige, 1510–15, National Gallery, London, England.
- Ochse nach Willi Hans Burger-Willing, Kühe im Gespann, 1920–30, Privatbesitz.
- Esel nach Albert Heinrich Brendel, Esel, ca. 1865, Privatbesitz.
- Stall nach Giotto di Bondone, Werkstatt, Die Geburt Christi, Fresko, um 1315/20, S. Francesco, Assisi.
Varikat® in einer Auflage von 12 Exemplaren
Das Varikat® ist ein eingetragenes Markenzeichen.
Es bezeichnet Arbeiten, die dem Thema und der grundlegende Komposition nach in mehreren Ausführungen erzeugt, jedoch, gleich einen Unikat, einzeln angefertigt sind. Entsprechend variieren die einzelnen Exponate in der Verarbeitung und machen sie so zu Einzelstücken, die nicht mit den Exemplaren einer druck-grafischen Serie zu vergleichen sind. Die Anzahl der derartig hergestellten Bilder/Installationen ist auf 12 Modifikation begrenzt.
Interaktive Zusmmanarbeit (Auftrag)
Es wäre also durchaus möglich, eine andere Maria mit dem Christkinde, die Sie mir vorschlagen, zu malen. Dabei wäre allerdings auf ein paar Kriterien zu achten, denn es muss ja eine aussagekräftige Silhouette Mariens mit dem Jesusknaben entstehen. Das kann besprochen werden.
Ein paar inhaltliche Hinweise zu der Weihnachtskrippen-Installation,
jedoch ist dabei zu bedenken, dass das Erleben, Erkennen und Erfassen bildnerischer Kunstwerke durch die visuelle Wahrnehmung erfolgt. Textliche Aussagen können lediglich den Charakter von Ergänzungen haben, die die Wahrnehmung und das Denken ggf. noch um einige vorher ungesehene und unbedachte Aspekte bereichern können.
Der Autor, mehr noch der Künstler, bittet, die Installation vor dem Lesen der Hinweise eigenständig zu betrachten und anzudenken.
Betrachtet man die Installation, so fällt als erstes sicherlich eine Zweiteilung auf. Sowohl das Bild könnte für sich allein gezeigt werden, als auch der Wäscheständer stellt mit den auf Nesselstücke gezeichneten Figuren ebenfalls autonom einen weihnachtlichen Krippenaufbau dar.
Man kann sowohl den Eindruck der Dualität erfahren, vielleicht von „verschiedenen Welten“, als auch die Empfindung erhalten, dass diese verbunden sind und eine Einheit bilden.
Eine Verbindung besteht darin, dass auf dem Wandbild, welches über dem Wäscheständer seinen Platz hat, die rein weiße Silhouette einer Figur auf Goldgrund zu sehen ist und auch die Figuren, welche auf dem Wäscheständer platziert sind, ebenfalls als Umrisse gezeichnet wurden.
Die Materialien „in beiden Welten“ sind minimalistisch reduziert, das Wandbild besteht lediglich aus zwei Grundierungen, einem Gesso-Halbkreidegrund, der auf einem Goldgrund in verschiedenen Schichten aufgetragen und glatt geschliffen wurde. Die Aureole entstand ebenfalls durch den Prozess des Schleifens; die Krippenfiguren bestehen aus einer Bleistiftlinie, einer ursprünglichen Form der bildnerischen Artikulation, der „Bleistift“, genauer Graphitstift, ist ein klassisches Zeichenmaterial, gezeichnet auf farblos grundierten Nesselstoff, der, neben Leinwand, ebenfalls ein „Traditionsmaterial“ der Malerei überhaupt ist, und in seiner „Stofflichkeit des Stoffes“ einen Bezug zu dem hier gebrauchten Bildträger „Wäscheständer“ herstellt. Hierbei sind die „Stoffstücke“ nicht wie bei gewaschener Wäsche (und bei Wandbildern) üblich „gehängt“, sondern entgegen dieser Erwartung gleichsam nach oben weisend aufgestellt, um die Empfindung zu evozieren, dass die Protagonisten die Schwerkraft überwinden und so (auch) eine Verbindung zu dem oberen Bild aufnehmen.
Die Figuren kommen der kunstbewanderten Betrachterin oder dem kunstbewanderten Betrachter vielleicht bekannt vor, erinnern an etwas, das man zwar anders im Gedächtnis hat, aber man eigentlich doch kennt. Ein Blick auf das Titeltäfelchen räumen etwaige Zweifel aus: die Formen sind extrahierte Umrisse aus den Kunstwerken anderer Maler, so ist zum Beispiel die Figur des Wandbildes eine Form aus – und gleichzeitig eine Hommage an – die „Sixtinische Madonna“ von Raffael; auch die Handlungsträger auf dem Wäscheständer hatten bereits eine „Präexistenz“ in einem anderen Werk der Kulturgeschichte und erleben ihre Wiederkehr, selbst in ihrer Erscheinung verwandelt und in einem zeitgenössischem Kontext, aus dem heraus sie als Wiedergänger der Kunstgeschichte nun in neuen Zusammenhängen neue Aussagen formulierend nochmals zum Betrachter sprechen können.
Diese „Reinkarnation“ geschieht ohne Binnenzeichnung, das Innere des Scherenschnittes ist unbemalt, unbefleckt oder, so könnte man sagen, rein. Besser noch, sie wurden „reingewaschen“, denn sie befinden sich auf einem Wäscheständer, waren also mit Wasser in Berührung. Wasser, dem Medium der Taufe. Nun sind wir mit der Krippe in Bethlehem, nicht in Bethanien am Jordan, doch leitet die Geburt Jesu die Zeitenwende ein, deren Sinneswandel auch die Taufe thematisiert. Der Bildprozess ist ebenfalls auf eine Wende angelegt, der Künstler hört mit dem ausgeführten Umriss auf zu wirken und lädt den Betrachter ein, dort seine Vorstellung hinein zu imaginieren, aus sich selbst heraus ein individuelles Bild entstehen zu lassen. Kennt man das Original gibt es die Möglichkeit, dieses nun aus seiner Erinnerung in die Gegenwart zu projizieren; will man allerdings zu einem perönlichen, eigenen Bild kommen, ist ein Schritt mehr auszuführen, es gilt das Erinnerungsbild, das in einem lebt zuerst zu überwinden, auszulöschen, zu dekonstruieren. Oder aber vielleicht auch zu metamorphosieren. Wobei der Prozess der Auslöschung eingeprägter Bilder oder Ansichten oder Vor-Urteile nicht nur für den oben geschilderten Prozess am Bildgeschehen notwendig ist, sondern eine grundlegende Blaupause auch für die Prozesse der Erkenntnis und der Urteilsbildung darstellt.
Zwei verschiedene Welten und doch eine Einheit, so hatte unsere bisherige Betrachtung schon gezeigt, weiteres kann noch hinzugefügt werden: Der Wäscheständer thematisiert die nötige Arbeit, das unumgängliche „Labora“ der irdischen Gegebenheiten, während der Goldgrund des darüber gehängten Bildes traditionell auf eine göttliche Sphäre verweist, die Ziel von Verehrung, Lobpreis und Gebeten ist und zum „Ora“ des Christen zählt; in der so gefügten Einheit dieser Dualität kann der zentrale Leitspruch „Ora et Labora“ aus der Regula Benedicti erlesen werden. Jedoch, schaut man sich auch nur den Wäscheständer für sich an: Haben Sie das Andreaskreuz des Wäscheständers gesehen? Und dass die Wäsche-Klammern, es sind sog. „Sturmwäscheklammern“, die auch bei rauen Winden die Wäsche nicht von der Leine wehen lassen und sie so vor der Befleckung am Boden schützen, ein Sinnbild dafür sind, dass auch die Geburt des Jesus-Knaben und das Christentum den Stürmen stand hält, ob schon anfangs beim Kindesmord von Bethlehem, später den Verfolgungen des Frühchristentums oder auch zeitgenössisch dem Spott durch eine materialistische Philosophie und Naturwissenschaft in unserer „aufgeklärten“ Gegenwart.
Vielleicht kann sich, bedenkt man diese Bilder während der täglichen Alltagsarbeit, das „Labora“ des Wäsche-Aufhängens mit dem „Ora“ einer kontemplativen Betrachtung vereinigen?
Nicht alle Krippenfiguren sind Heiligenbilder, es sei denn, man spricht auch einem Ochs und einem Esel diese Erhöhung zu. Das Wandbild mit Maria, das Jesuskind haltend, ist auf Goldgrund gesetzt, ist nicht nur ein „Heiligenbild“, sondern bezieht sich konkret auf die Tradition der Ikonenmalerei. Eine klassische Ikone ist nach einem strengen Regelwerk gearbeitet. Der Betrachter weiß aus Kenntnis dieser Tradition heraus im Grunde eigentlich schon von vornherein, was er auf dem Bild sieht, denn er weiß, wie die Ikone der Heiligen oder des Heiligen auszusehen hat. Nun will ich nicht behaupten, dass es sich bei meinem Bild um eine „Ikone“ handelt, denn das dogmatische Regelwerk ist nicht Grundlage meiner Arbeit, jedoch gibt es einige Anknüpfung an die Ikonentradition.
So zum Beispiel in der „Grund-legenden“ Behandlung des Bildaufbaus: Ikonen werden meist in der sogenannten „inversen Perspektive“, auch Umkehrperspektive genannt, erzeugt, was bedeutet, dass die Figuren im Hintergrund größer gemalt sind als die vorderen, also konträr zu dem, was wir in der von uns gewohnten Zentralperspektive sehen. In Kürze angedeutet ist die inverse Perspektive eine Betrachtungswinkel, der wie aus dem Unendlichen kommt, aus „der Welt hinter dem Goldgrund“, den diesseitigen Betrachter wie umspült und ihn in die Imagination hineinzieht. In meinen Bilder wird invers mit dem Bildaufbau gearbeitet: die Figur, der Palin- oder Protagonist, besteht aus unbemalter Gesso-Halbkreide-Grundierung, was bedeutet, das eine unbemalte Fläche aus Grundierung zuoberst liegt, was sonst, in einem normalen Bildaufbau ganz zu unterst seinen Platz hat und übermalt wird.
Die Figur der Maria mit dem Kinde besteht lediglich aus Grundierung, die, ähnlich des Bildgrundes einer Ikone, in dünnen Schichtungen mit Zwischenschliff aufgebaut wurde, wobei der Schattenriss der Heiligen so fein geschliffen ist, dass dieser sich weich und schmeichlerisch anfühlt und so zur Berührung oder gar zum Kuss, wie in der Ostkirche Praxis, einlädt.
Auch hier findet in gewissem Sinne wieder eine Wende statt, die Grundierung, der Bild-Grund liegt offenbar, befindet sich nicht übermalt und unsichtbar zuunterst, wie bei einem klassischen Bild, sondern prangt – unbemalt, unbenutzt, unbefleckt – sichtbar vor den Augen des Betrachters, der vielleicht als spiritueller Sucher nach dem „göttlichen Ur-Grund“ forscht. Nun kann der Betrachter sich entrüsten und sich, was soll denn dieses unfertige Bild denkend, abwenden – oder mit ihm in einen Dialog treten, es andenken, es zu einem „Andenkbild“ und so auch zu einem Andachtsbild werden lassen, er selbst hat diese Entscheidung in der Hand. Steigen bei längerer Betrachtung der konzentrierten, klaren Form in ihm selbst Bilder auf, hier von Maria, der Gottesmutter und ihrem eingeborenen Sohn, die er in die jungfräuliche Weiß-Form hineinprojiziert, so ist das, wie oben schon erwähnt, ganz im Sinne des Bildschöpfers. Der Maler dieser, vielleicht kann man sagen, Neo-Ikone, möchte mit dem Betrachter in einen Dialog treten und wünscht sich, dass der Betrachter selbst zu einem Schöpfer wird und als Visualist eigener innerer Bilder selbst die heilige Tätigkeit des Schöpfertums in einer Art Imitatio tangiert.
Nimmt der Betrachter diese Einladung des Malers an, kann ein dialogisches Kunstwerk entstehen, dass in zwei Teilen und in zwei Welten existiert, der physischen, im materiell gegebenen Objekt des Künstlers, das die Vorstellung des Betrachter inspirierte und in der feinstofflich existenten Vorstellung des schöpferisch gewordenen Betrachters. in diesem Dialog würde die vollständige Arbeit in zwei Welten vorliegen, der irdisch-materiellen und der geistigen des Betrachters, und dabei eben doch ein Kunstwerk sein.
Jörg Länger, in Rohrdorf, im Herbst 2020/21
––––––––––––––––––––––––––––––––
1 Hermes Trismegistos, Corpus Hermeticum, Tabula Smaragdina, nach K. Ch. Schmieder, Geschichte der Alchemie, Halle, 1832, Nachdruck München, 1927 (Das dem Zitierenden bewusste Problem der Echtheit der Tabula Smaragdina auszuführen ist an diesem Ort nicht der Raum.)
Trio Natale – Verborgene Gegenwart
Verwirrt und irritiert wandert der Blick zwischen den verschiedenen Elementen dieser Krippeninstallation hin und her. Irgendwie will so gar nichts in die gängigen Bildvorlagen und ‑erfahrungen von Weihnachtskrippen passen: weder der Wäscheständer noch die festgeklammerten Bildtafeln mit den Umrissen von Krippenfiguren, noch das vergoldete Wandbild darüber, dessen Mitte leer ist.
Immerhin sind auf den Bildtafeln mit etwas Glück in Leserichtung die heiligen drei Könige, der Esel, die Hirten, der Ochs, Josef, Maria mit dem Jesuskind, ein Stall und der Engel zu erkennen. Wie Wäschestücke sind sie mit Holzklammern am Draht befestigt, nicht hängend, sondern stehend, auch wenn die Schatten einen anderen Eindruck vermitteln.
Die Befestigung der Bildtafeln wirkt improvisiert, vorübergehend, so wie dieser Ständer nicht als Bleibe für die Wäsche vorgesehen ist. Der mobile Wäscheständer mit X‑Beinen bietet der heimatlosen Truppe einen vorübergehenden Ort zum Verweilen. Er gibt denen, die in sozial labilen Strukturen leben, trotz seiner wackeligen Konstruktion einen festen Halt, damit sie auf ihm stehen, sich zeigen und sichtbar werden.
Von unten nach oben betrachtet bildet die Installation ein „Trio natale“, ein „Weihnachtstrio“: Wäscheständer, Krippenfiguren, vergoldetes Wandbild. Der Wäscheständer steht für unsere Zeit, für die Gegenwart. Wäschewaschen gehört zu unserem Lebensalltag wie Essen und Schlafen. Die bescheidene Konstruktion und die kreuzförmigen Beine rücken die knappen Mittel vieler Haushalte und die Mühe und Last der Hausarbeit an die Krippe heran.
Doch genau an diesem Ort, unerwartet inmitten unseres Alltags offenbart sich Gottes Gegenwart in der Geburt seines Sohnes durch Maria. Völlig überraschend, wie bei einem Wunder, stehen die Bildtafeln und weisen unauffällig auf das Wandbild darüber. Die in Umrissen gezeichneten Figuren stehen stellvertretend für Arme und Reiche, für die Menschen vom Land wie aus der Stadt. Die Umrisslinien sind Werken berühmter Künstler entnommen und gleichzeitig so offen, dass der Betrachter in den einzelnen Figuren eigene Bilder sehen kann, ja in ihre Rolle schlüpfend einen Platz unmittelbar an der Krippe, beim Jesuskind, finden kann.
Jesus will in dieser Installation gesucht werden, auch wenn er wie Maria zweimal dargestellt ist: Geborgen bzw. verborgen in der Gestalt seiner Mutter ist auf der hell beleuchteten Bildtafel vorne rechts und im goldenen Wandbild jeweils links vom Kopf Mariens eine Auswölbung zu sehen, die im Original vom Kopf Jesu stammt. Die Frage bleibt: Wieso ist Jesus gerade da, wo sich alles um ihn dreht, kaum bis gar nicht zu sehen? Ist er nur noch abwesend gegenwärtig? Ist er in unserem durch eine allgegenwärtige Informationsflut und materielle Fülle gekennzeichneten Leben nur noch in den Zwischenräumen als Negativbild da? Unsichtbar in den aus einer fernen Epoche, mit der wir nicht mehr viel gemein haben, entlehnten „Krippenfiguren“?
Das quadratische Wandbild mit der ausgesparten Abbildung der Sixtinischen Madonna von Raphael bildet den Höhepunkt im vertikalen Aufwärtsstreben. Im Gegensatz zum ärmlichen Wäscheständer, der geerdet auf dem Boden der Tatsachen steht, bringt das goldglänzende Wandbild eine überirdische Komponente in die Installation. Außergewöhnlich in seiner Leuchtkraft, erhoben über der bescheidenen Krippe auf dem Wäscheständer, bewirkt das Bild eine Verherrlichung der Gottesmutter und ihr Kind. Die schwebende Darstellung verknüpft die abwesende Figur der freien Bildmitte mit der apokalyptischen Frau, deren Kind nach der Geburt zu Gott und zu seinem Thron entrückt wurde, um es vor dem Drachen zu schützen (Offb 12,1–6).
Die Mitte ist offen für das sichtbare oder unsichtbare Bild, das durch uns hineingelegt wird: Unsere Vision des Jesuskindes, unser verinnerlichtes Bild des menschgewordenen Gottessohnes, der mitten unter uns gewohnt hat und der durch uns weiterhin in unserer Welt wohnen und wirken will. Wo sich die Zwischenräume füllen, wo die Krippenfiguren lebendig werden, da ist auch für uns das Kind geboren.
„Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen.” (Offb 12,12)
Patrik Scherrer, München den 24.12.2020
Link zum Text auf der Web-Seite Bildimpuls