Nuntiatio
Dr. Heidi Krahl
Rede vom 14. November 2007
zur Eröffnung der Ausstellung im Haus der Stille, Berlin
Jörg Länger – Nuntiatio
Sehr geehrte Damen und Herren!
Heute ist der Maler Jörg Länger mit seinen Bildern zur Verkündigung bei uns zu Gast. Seine Ausstellung trägt den Titel ‚Nuntiatio’. Was finden Maler an der Bilderwelt des Christentums heute wichtig und gestaltungswürdig? Welche bildnerischen Ausdrucksformen erachtet ein Künstler als geeignet, wenn sich die Sprache des Gewohnten und Selbstverständlichen als unzureichend erweist, um spirituelle Inhalte auszudrücken? Was kann man tun, wenn das Wenige, was in den Evangelien, bei Paulus, bei Jakobus und in den Apokryphen über Maria berichtet wird, faktisch nichts dazu beitragen kann, Maria und ihr Leben in Nazareth biografisch zu erschließen?
In den Arbeiten Jörg Längers findet sich eine klassisch zu nennende Antwort: so zeichnet sich bei ihm neben intensiver Quellen-Suche früh die Entscheidung ab, sich der Figur Marias nicht allein biografisch, sondern – wo möglich – auch theologisch zuzuwenden.
In seinen feinsinnigen Arbeiten formieren sich ästhetische Richtungen, Grenzen und Paradoxien zu einem interessanten Reigen von noch unbestimmtem Ausgang. Ich entdeckte zahlreiche Vorbilder und Einflüsse in den Gestalten und im strahlenden Licht seiner Bilder, die perfekt am Blickwinkel des Betrachters komponiert sind. Zahlreiche Protagonisten aus der Kunstgeschichte betreten Bildräume im epischen Präteritum. Oft geschieht dies irritierend nahe am religiösen Kontext; während zugleich durch den Vorgang des Zitierens eine Art von kraftvoller Verdichtung und Verdopplung der Bedeutungen spürbar wird. Seine Bilder zeigen also adaptierte Szenerien verschiedener Epochen auf neuem Terrain. Seine Bilder ‚erzählen vom Erzählen’. Sie suchen Blicke auf Transzendentes aus vergangener Zeit und verweisen in einem Akt gekonnter Wiederholung auf neue Immanenz. In einer Vielzahl von Rückwendungen und Vorausdeutungen drücken seine Figuren und Kompositionen ein eigenes Bewußtsein aus, Teil einer durch die Zeiten fortschreitenden Metafiktion zu sein.
Zu sehen ist schließlich ein Bild, das von einem Bild erzählt, während es selbst dieses Bild kommentiert und seine eigene Erzählperspektive beisteuert.
Wenn Sie mögen, lassen Sie uns bitte einen Blick auf die kleine Arbeit Jörg Längers werfen, die den Titel ‚Verkündigung’ trägt. Sie kennen das Motiv vom Flyer. Die kleine Komposition ist in Mischtechnik auf Papier gemalt. Das Bild ist im Original 33 x 33 cm groß und aus dem Jahr 2005. Auf dem Bild ist der Himmel weiß gelassen. Die untere Bildhälfte zeigt eine vage angedeutete Landschaft in goldgelb und silbergrau mit Orange- und Brauntönen. Die kleine Szene vermittelt sphärische Geschlossenheit: ortlos-zeitlos, doch von drängender Gegenwart. Es ist offengelassen, welcher Epoche das Geschehen auf dem Bild zuzuordnen wäre. Der Engel und Maria sind annähernd gleich groß gemalt – und anders als den klassischen Vorlagen – voneinander abgewandt. Die Verkündigung an Maria geschieht an einer einfachen Frau aus Nazareth. Einem Ort, der im Talmud noch keine Erwähnung fand. Gott offenbart sich nun wo und wem er will. Es beginnt hier ein neuer Weg, in dessen Mitte nicht mehr der Tempel, sondern die Einfachheit Jesu Christi steht. Marias Gewand hat keine bestimmbare Farbe. Der Erzengel Gabriel bleibt geheimnisvolle Silhouette. Der Engel scheint seine Botschaft soeben überbracht zu haben. Dialog und Sendung sind vorerst beendet. So schreitet der Engel aus fast leergelassener Szenerie nach rechts aus dem Bild. Maria geht gebückt und in sich gekehrt aus der Bildmitte nach links davon. Als wäre sie bereits auf dem Wege, ihrem hohen Auftrag Folge zu leisten.
So bleibt das biblische Verkündigungswort (Lukas I, 26–38) auch in dieser gelungenen post-verbum Interpretation als endgültig zu verstehen. Zugleich ist es in seiner Unerschöpflichkeit zeitlos und damit stets neu. Maria ist auch hier die große Glaubende, die sich auf Gottes Willen einlässt. Bei ihr zielt alles Geschehen zum Innerlichen und Wesentlichen hin. In ihr wird tiefe Einfachheit und Größe christlicher Mystik spürbar.
Ich möchte nun etwas zu den beiden großformatigen Bildern im Altarraum sagen. Sie sind auf Holz gemalt in Anlehnung an die Tradition des mittelalterlichen Tafelbildes und tragen den Titel Verkündigung. Die Rahmen der Bilder sind aus Eisen; was bewusst anspielen soll auf ‚Kreuz und Nägel’. Die kleineren Bilder von Jörg Länger haben für gewöhnlich eine klar definierte Bildmitte. Ausgewählte Figuren – oft Protagonisten aus unterschiedlichen Epochen der Kunstgeschichte – erschienen in vielfältigen Formen und zeigten bekanntes biblisches Geschehen in moderner Bildsprache. Hier bei seinen großformatigen Arbeiten kann man bald erkennen, wie die Bedeutung der Farbe vor dem Zeichnerischen wächst und schließlich Vorrangigkeit einnimmt.
Goldene oder gelbgoldene Flächen standen seit dem Mittelalter für göttliches Einstrahlen, für überirdischen Widerschein. Auch in den modernen Darstellungen sind sie als Verweis auf Göttliches zu verstehen.
Wenn wir die Linienführungen betrachten, erkennen wir: Dynamische Linien, wie wir sie von den kleinen Arbeiten kannten, verkürzen sich hier allmählich zu Fermaten. Entweder absichtlich gesetzt — oder durch die Struktur des Holzes auf dem Malgrund vorgegeben – bilden sie freie Linien und schaffen Eingang in Bedeutungsebenen, die einander durchdringen. Sie verraten Wandelbarkeit im Haltgebenden. Was als Nachahmung begann, wächst weiter zu einer Art höchst interessanter Mimesis, die sich vom Objekt der Betrachtung auf das Subjekt verschiebt. Es wird also nicht nur ein Thema nacherzählt: Die Empfindung des Betrachteten und eine mögliche Identifikation mit den Figuren aus dem Bildgeschehens erschafft höchst gekonnt a‑priori-Determinanten für weitere Imaginationen.
Wir erleben, wie Grenzen zwischen Gestalt und umgebenden Farbraum zusehends durchlässiger werden. Dies führt zu einer eigenständigen Form der Abstraktion: wir sehen Farbe hochtransparent bis an die Grenze zum Licht gemalt und von schwebender Durchsichtigkeit. Farben, die zu fließen scheinen oder wie durchscheinende Nebel heranschweben. Sie geben dem Bildraum Weite und Grund. Die Farben bergen und schützen. Sie tragen Gestalten in sich; himmlische wie irdische. Alles in den Bildern atmet, spiegelt und benennt seelische Wertigkeit. Das Herauswachsen von Gestalten und Formen aus der Farbe, das Sich-Lichten bis hinein in die hellsten Lichtstufen zeigt, wo Grenzen durchlässig werden und spirituelles Geschehen beginnt.
In vielerlei Hinsicht sind die Bilder Jörg Längers das Ergebnis seiner bisherigen Betrachtungen zu Kreuzweg und Passion: Mitfühlen von Leid und Sterben verdichtet sich zur Gewissheit vom Heil der Erlösung in hellen, lichtdurchfluteten Bildern.
Neben vielen Formen zur Begriffsbestimmung von Spiritualität sei hier an eine gedacht: Spiritualität umschreibt einen Prozess der fortwährenden Umformung eines Menschen, der dem Ruf Gottes Folge zu leisten versucht. Für einen Künstler werden dabei sein Ringen und seine Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten für innerseelische Erfahrungen zu nennen sein. Zu Anfang des Dialoges stehen sich das Dunkel der Gottesferne und persönliche Sehnsucht mit Erfahrungen von Leere und Zweifeln gegenüber. Der Mangel bleibt schmerzhaft, bis Gott auf den Ruf antwortet und seine Gegenwart enthüllt. Seine Zuwendung macht reich und schenkt Mut. Der Mensch tritt heraus aus dem Dunkel und findet Teilhabe am Guten und der Freundschaft zu Gott, die aus seiner zerbrechlichen Existenz zur eschatologischen Vollendung geführt werden will.
© Dr. Heidi Krahl, Kunsthistorikerin, Berlin, 2007