Dialogikonen III
Streichelzoo
2017 - 2020
Painting and Graphic Art
PDF Text von J. Länger, Grundlagen des Konzeptes der Dialogikonen
PDF Text von J. Länger, Grundlagen des Konzeptes der Dialogikonen
Text von J. Länger, Grundlagen des Konzeptes der Dialogikonen
Grundlagen des Konzeptes der Dialogikonen.
Die Entwicklung zur Dialogikone aus der Arbeit heraus:
In meiner Arbeit an der Werkgruppe der Zeitgeister aus den Anfängen meiner „Gesichte“ hatte ich Gesichte® nur aus Gesso-Grundierung auf farblos grundierte Leinwand gemalt. Im Laufe der Arbeit mit diesen auf das Notwendigste reduzierten Materialien entstand auch ein Scherenschnitt eines griechischen Gottes vollflächig aus Gesso-Grundierung. Der Apollon gefiel mir in seiner Form. Es folgen weitere Gesichte® als Gesso-Scherenschnitt. Dabei wollte ich die weiße Fläche der Grundierung entsprechend meiner normalen Bild-Grundierungen behandelt haben, also fein geschliffen; dafür mussten mehrere Schichten aufgetragen und zwischengeschliffen werden. Ähnlich der aufwendigen Anfertigung des Malgrundes einer traditionellen Heiligenikone. Es entstand so eine Grundierung in kopfform oder, anders beschrieben, ein Kopf aus Grundierung. Ich dachte, einige Köpfe täten gut daran, grundiert zu werden. Denn ist es nicht so, dass in den Gedanken, mit seinem Symbol, dem Kopf, die Gründe geliefert werden, für, zum Beispiel, die Taten? Und für manche Taten mancher Menschen sind die Gründe doch nicht recht einsichtig?! Da täte eine ordentliche Kopfgrundierung not. Ich fing weiterhin an, grundierte Köpfe auf „regulär“ bemalte Bilder zu setzen, das der Grund offenbar wurde, also Grundierung (in Kopfform) auf Malerei, also ein inverser, umgekehrter Bildaufbau entstand. Wenn man dann den oben auf liegenden Kopf schleift, was man muss, wenn man eine schöne glatte Grundierung haben will, bekommt auch die Umgebung etwas davon ab, denn einiges bleibt eben nicht allein im Kopf: doch das sah wunderschön aus und gefiel mir gut.
So entstand eben eine inverse Form des Bildaufbaues. Eine unbemalte Fläche aus Grundierung liegt zuoberst und bleibt unbemalt, die sonst, in einem normalen Bildaufbau, ganz zu unterst ihren Platz hat und übermalt wird.
Die Entwicklung zur Dialogikone aus dem Gedanken heraus:
Die Ikone ist ein ganz besonderes Gebiet innerhalb der Malerei, innerhalb der Kunst. So kann eine Ikone eine existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten in realiter (!) bilden. Die Ikone ist das was sie darstellt.1) Der Begriff der Ikone müsste eigentlich länger besprochen werden, an dieser Stelle will ich in Kürze auf die „inverse Perspektive“ eingehen, die in Ikonen meist zu finden ist. Die inverse Perspektive, auch Umkehrperspektive genannt, bedeutet, dass die Figuren im Hintergrund größer gemalt sind als die vorderen, also konträr zu dem, was wir in der von uns gewohnten Zentralperspektive sehen. In meinen Bilder wird invers mit dem Bildaufbau gearbeitet: die Figur, der Palin- oder Protagonist, besteht aus unbemalter Gesso-Halbkreide-Grundierung, was bedeutet, das eine unbemalte Fläche aus Grundierung zuoberst liegt, was sonst, in einem normalen Bildaufbau ganz zu unterst seinen Platz hat und übermalt wird.
Aus den Erfahrungen meiner malerischen Arbeit kann ich sagen, der Bildgrund ist sehr wichtig für die sich darauf entfaltende Malerei, er ist Träger, Voraussetzung, conditio sine qua non für das Bild. Dabei wird er meist einfach oder gar mehrmals übermalt, was ich schon lange ungerecht fand (wobei allerdings bei mir schon immer Teile der Grundierung frei und so sichtbar blieben). Aber nun wird dem Bildgrund eine Ehre erwiesen, die er nie gefordert hat: zuoberst darf er sein, über dem Bild, dem er sonst tragend den Grund gibt und dabei steht er gar reliefartig erhöht über dem Bildumfeld 2).
Diese inverse Perspektive des Bildaufbaus passt sehr gut zu der Ikone, der Bildgrund ist ja tatsächlich für einen Maler etwa wie ein „Urgrund“ des Bildwerkes und wenn man einen riesig vergrößernden Maßstab ansetzt, kann man vielleicht eine Analogie ziehen, zu dem „Welten-Urgrund“. In eigentlich allen Mythologien und Religionen der verschiedenen Kulturen der Welt und auch in der Philosophiegeschichte des Abendlandes bis zur Säkularisierung, basiert die Existenz der Welt (und damit aller Kultur und Zivilisation) auf dem Welturgrund, der heiligen Weltenschöpfung durch die Selbst-Ausgießung Gottes in die Welt. Ein heiliger Akt.
Bildrezeption als Bildproduktion (Bildbetrachtung als Bildschöpfung):
Auf den „Dialogikonen“ ist nun der Bildurgrund frei sichtbar zuoberst gekehrt: eine von mir gemachte Leerstelle auf der eine Schöpfung entstehen kann: Ihre Schöpfung. Die Schöpfung des Betrachters! Im Dialog mit mir, so dass Sie, die Betrachter, keine creatio ex nihilo, keine Schöpfung aus dem Nichts, die ist ungleich schwerer ist, generieren müssen. In unserem Dialog ist Ihnen die jungfräuliche, (durch Farbe) unbefleckte Silhouette des Protagonisten gegeben, als Halt, um nicht völlig auf dem Nichts zu stehen. Eine „Aktivierungsenergie“ zum eigenen Schöpfertum wird Ihnen gegeben, Sie sind von den Bildwerken eingeladen, Ihre Vorstellungen von zum Beispiel dem Erzengel Michael in seinem Kampfe oder der Jungfrau mit dem Kinde in die weiße „Leerstelle“ hinein zu imaginieren, Ihren eigenen heiligen Michael im Geiste zu schöpfen. Und so wird durch Ihre Schöpfungstat versucht, eine Verbindung in realiter(!) in der Handlung des Schöpfens zu erzeugen, denn dieser findet wirklich wirkend statt, bei mir auf der Leinwand und bei Ihnen im Geiste. Vielleicht kann man sagen das es, wenn auch noch so gering, eine klitzekleine Teilhabe an dem göttlichen Schöpfungsakt sein kann, im Felde der Kunst und der Imagination auf einem anderen Weg geschaffen. Nicht nur zum Inhalt, sondern auch über den Prozess der schöpfenden Betrachtung wird eine Verbindung zum heiligen Schöpfungsakt geschaffen. Auch wenn dieser noch so mikrokosmisch im Makrokosmischen darinnen steht, so kann es doch eine Annäherung für uns Erdenbewohner sein …
Ich sage nicht, dass das leicht ist. Aus diesem besonderen, erweiterten Dialog mit den Betrachtern heraus nenne ich diese Werkgruppe „Dialogikonen“.
Vielleicht kann man den Ansatz gar als eine Art Ikonenwende benennen.
Während ein gläubiger orthodoxer Christ bei der Betrachtung einer traditionellen Ikone eigentlich schon vorher weiß, was er sehen wird, da die Herstellung einer Ikone nach strengstes in der Ausführung festgelegtem Regelwerke erfolgt, ist dagegen hier eine leere, weiße/weise Vorlage als Moment der Freiheit gegeben.
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1) Ein Beispiel vielleicht zur Erklärung: Sie geben dem Photo Ihrer Freundin, Ihres Freundes oder sonst eines lieben, nahen Menschen ein Küsschen. Das machen Sie, weil Sie durch das Photo angeregt nun allerliebst an den abgebildeten Menschen denken und Sie handeln so aus freudigem Überschwange – doch Sie denken nicht im Ernst, dass Sie nun der betreffenden Person tatsächlich, in realiter(!), einen Kuss gegeben haben. Im traditionellen Ikonenverständnis wäre das jedoch so. Das abgebildete Bild ist der abgebildete Inhalt.
Doch will ich gleichzeitig an Sie appellieren nicht unsere heutige, moderne, aufgeklärte Denkungsweise, die sich darüber lustig machen könnte, als der Weisheit letzten Schluss zu sehen. Es ist immer aus den Gegebenheiten der Zeit heraus einiges zu denken unmöglich, was durchaus zu denken möglich und der Wirklichkeit angemessen wäre. Noch ein Beispiel: Geht es Ihnen nicht auch ab und an so, dass Sie frustriert immer wieder auf ein Problem schauen, das Sie nicht lösen können. Dann, nach einiger Zeit kommt Ihnen plötzlich und unerwartet (wie aus heiterem Himmel) ein völlig neuer Gedanke, die Lösung des Problems, wie selbstverständlich, aber sie ist einfach bisher nicht eher in Ihren Denkhorizont getreten. Warum haben Sie diesen Gedanken lange nicht denken können? Und wie viele weitere Gedanken mag es geben, die Sie einfach bisher noch nicht denken konnten! Wie zum Beispiel den, dass das Bild nicht immer nur Abbildung und damit Verweis auf das Inhaltliche ist, sondern dass es das Gezeigte selbst ist. Für einen im byzantinischen Ritus Denkenden und Handelnden ist es dagegen nicht nur möglich, sondern gar selbstverständlich, so zu denken.
2) (Diese leichte Erhöhung, die das Motiv durch den Auftrag der Schichtungen erreicht hat, ist auf Photos nicht immer richtig zu sehen.)
1. Werkgruppenunterabteilung: „Heilige(r ) Grund(ierung)“.
Auch wenn hier, wie oben geschildert, zu gänzlich neuartigen Betrachtungsweisen führende Ikonen vorliegen, ist es mir wichtig, anzuknüpfen an die Tradition in verschiedenerlei Weise: einmal, handwerklich mit der aufwendig geschichteten und geschliffenen Grundierungsherstellung; sodann substanziell in dem Prozess der Schöpfung als heiligem Akt, und hier in der ersten Werkgruppenunterabteilung an die Ikone in Ihrem Ursprung, der Thematisierung des Heiligen im Motiv. Die Formgebung des Bildinhaltes, also der Handlungsträger des Bildes, entsteht ebenfalls aus einer Anknüpfung bei Künstler-Vorgängern, so greife ich von Malerkollegen in der Vergangenheit gezeugte Protagonisten auf und lasse sie, auf ihre Silhouette verdichtet, in den Neo-Ikonen wieder auferstehen. Diese „Protagonisten-Resurrectio“ versucht ein metaphysisches Geschehen zu verbildlichen. Die Protagonisten meiner Bilder sind Wiederkehrer, ich nenne sie Palingonisten, Wiedergeborene, kommend vom altgriechischen palin (πάλιν), „wiederum“, „abermals“ und genesis (γένεσις), „Erzeugung“, „Geburt“ – „palingenesia“, die Wiedergeburt.
So stelle ich mich selbst, und das ist mir wichtig, durch mehrere künstlerische Verfahren bewusst in einen bestimmten Strom der Geschichtsentwickelung und schließe so an konkrete Individualitäten an. „Bewusst“ muss hier explizit betont werden, denn wir alle knüpfen an den Geschichtsstrom an, konkret führen wir Millionen von Bildern, die wir seit der frühen Kindheit in uns aufgenommen haben, mit uns, aus denen heraus wir unser Denken, Fühlen, Handeln entstehen lassen, jedoch meist unbewusst. Im Gegensatz zu diesen unbewussten Bildern, die in uns allen und natürlich auch zentnerweise in mir leben, will ich wenigstens teilweise bewusste Verbindungen mit dem Strom der die Gegenwart schaffenden und formenden Geschichte eingehen und durch entsprechende Setzungen diese Realität explizit formulieren.
2. Werkgruppenunterabteilung „Jetzt brandneu: Ikonen der Moderne“.
Hoch über der Vergangenheit steht, so der allgemeine Tenor, unsere Gegenwart, ja, weit gebracht hat unsere moderne Zivilisation es! Und auch Ikonen sind in unserer Zeit entstanden, bekannt und in aller Munde als die „Ikonen der Moderne“.
Filmdivas haben es durch Sexappeal in die Ikonostase geschafft. Und mit Marilyn Monroes berühmter Aussage von 1952, „Zum Schlafen trage ich nur ein paar Tropfen Chanel Nº 5“, spricht eine Ikone über eine Ikone; denn auch ein Parfum-Flakon wird in der Moderne zur Ikone: 1959 aufgenommen in die Dauerausstellungsikonostase des Museum of Modern Art (MoMA).
(Das Bild des berühmten Flakons ist geplant, aber irgendwie noch nicht ausgeführt, habe wohl wenig Lust dazu.)
So bekannt sind unsere zeitgenössischen Ikonen, sie können in weißer Grundierung bleiben, Sie kennen sie ja.
Die im 20. Jahrhundert entstandenen „Ikonen der Moderne“ beziehen sich fast ausschließlich auf profane Inhalte. Der Begriff der Ikone umfasste anfangs sowohl sakrale, als auch säkulare Themen, bis er ab dem 6. Jahrhundert A. D. ausschließlich für sakrale Portraits Verwendung fand. Bis zur Moderne eben.
3. Werkgruppenunterabteilung „Streichelzoo“.
Nun Tiere als Protagonisten. Schön sind sie, die gemalten Tiere, nicht nur zum Schauen. Glatt, zart und wohlig sind sie auch zu berühren, denn die Oberfläche ist ja ganz samtig und „smooth“ geschliffen, man könnte sie so glatt auch glatt „Smoothiekonen“ nennen.
In meinem „Streichelzoo“ sind sogar auch z. B. Nilpferde, Schlangen und Insekten lieblich und angenehm zu berühren mit ihrer weich geschliffenen Oberfläche aus Gesso. Auch gefährlichen Tieren, wie Panthern und Skorpionen kann man sich beruhigt nähern und diese behaglich streicheln.
Aber Tiere als Ikonen? Auch hier gibt es natürlich traditionelle Reminiszenzen, „heilige Tiere“ finden wir verehrt in verschiedensten Kulturen.
Und gegenwärtig ist es mehr als notwendig Tiere zu ikonisieren, zur Sühne an begangenem Frevel durch menschliche Arroganz, Gefühllosigkeit, Brutalität, durch Ausbeutungs- und Herrscherwillen. Die Fußwaschung ist hier zu vollziehen, der Höhere sollte dem Niederen dienen.
4. Werkgruppenunterabteilung „Saubre Bursch und Weiberleut“.
Geboren und aufgewachsen in Berlin, war ich lange in Hamburg wohnhaft, doch nun, seit bald Drei Jahren, lebe ich am Alpenrand, im schönen Chiemgau in Oberbayern. Ab und an habe ich auch Kontakt mit Einheimischen. So wurde ich aufgeklärt, dass „saubre Burschen und Weiberleut“ der hiesige Ausdruck für z. B. ein „stattlicher Mann“ oder ein „cooler Typ“, ein „klasse Weib“, oder einfach eine „wunderbare Frau“ ist.
Sauber, weiß, wie gerade aus der Kochwäsche gekommen, prangen sie auf meinen „regionalen Bildern“. Aber nur in Tracht werden sie gemalt.
5. Werkgruppenunterabteilung: „Meine Lieben schmirgelweich“.
(Auftragsarbeiten)
Es fehlen jedoch noch, um aller Aktualität genüge zu tun, persönliche oder personalisierte Dialogikonen“. Dafür nun in der Fünften Werkgruppenunterabteilung Dialogikonen-Auftragsarbeiten, wenn Ihr Wunsch nach Ihrem Namens- oder Lieblingsheiligen ruft. Aber für Ihre ganz persönliche Verehrung kann es auch die Ansicht eines lieben, vertrauten Menschen sein, oder eines besonders verehrten Menschen, eines bewunderten Dichters oder Komponisten, eines für Sie wegweisenden Denkers oder eines charmanten Serienhelden, auf den Sie sich täglich freuen. Oder Ihr Lieblingstier, zum Beispiel eine Erinnerung an Ihren gerade verstorbenen Goldfisch, nun zum Anfassen viel weicher. Oder auch ein besonderes Objekt, Ihr Traumauto/Ihre Handtasche von Luis Vuitton zum Beispiel.
Zum Procedere: Sie schicken mir ein Photo mit der Wunsch-Ikone!
Wichtig ist dabei, dass das Photo als Scherenschnitt aussagekräftig ist und dass es nicht zu filigran ist. (Mehr filigran ergibt mehr Aufpreis – aber das können wir dann zusammen besprechen, … Ganz weich schmeichelnd und aalglatt richte ich mich nach Ihren Wünschen!)
© Jörg Länger, 2020 und 2022, Rohrdorf, Chiemgau