Zum Eros des Glases
Gedanken über den Eros, dass das Material Glas inne hat.
Einige Länger verfasste Notizen anläßlich einer Ausstellung in der Hamburger Galerie Hengevoss-Dürkop.
Vom 9. September bis 9. Oktober 2017
Gedanken über den Eros, dass das Material Glas inne hat.
Einige Länger verfasste Notizen anläßlich einer Ausstellung in der Hamburger Galerie Hengevoss-Dürkop.
Vom 9. September bis 9. Oktober 2017
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Glas ist ein traditionelles Material.
Glas ist ein robustes, Zeit überdauerndes Material.
Glas ist ein Material, das ein ganz besonderes Verhältnis zum Licht hat: während natürlich jedes Objekt erst durch darauf scheinendes Licht sichtbar wird, kann beim Glas auch Licht durch es hindurch scheinen. Es hat so im Grunde eine Betrachtungsdimension mehr. Diese außergewöhnliche Diaphanie führt dem Glas ein Mehr an Leben zu: Glas verändert sich durch sich veränderndes Licht wesentlich mehr als ein Bild auf beispielsweise einer Leinwand und erscheint so in vielfältigen Zuständen; es ist nicht möglich zu sagen, was sein eigentliches, originäres, hauptsächliches Sein ist, was seine Grundform ist. Ein Glasobjekt metamorphosiert in wechselndem Licht.
Dadurch wird Glas für den, der es gestaltet zu einer besonderen Möglichkeit und auch Herausforderung: es gilt bei der Herstellung eines Glasbildes einige der verschiedenen Möglichkeiten des auffallenden und durchscheinenden Lichtes (das ist die Hauptdifferenz der Beleuchtung) mit einzudenken.
Das Material Glas hat durch das gegenwärtige technische Potential ein sehr großes, vielfältiges Spektrum an Bearbeitungsvarianten zu offerieren: von der traditionellen Verarbeitung mit Antikgläsern und Bleiruten, Glasmalerei mit Keramikfarben und Ätzungen sind heute Sandstrahlung, Formungen von Strukturen, dauerhaftes Aufkaschieren von sich überlagernden Gläsern oder deren Verschmelzung im Fusing-Verfahren, Siebdruck, Übertragungen von Photographien mit keramischen Druckerfarben und ein von mir hier nicht vollständig aufzuzählender Umfang unterschiedlichster weiterer Techniken möglich.
Für die Exponate zum Thema „Eros“ habe ich mich zur Arbeit mit Glas entschieden. Für die Glasmalerei werden Keramik- oder Schmelzfarben verwendet, die bei 605 Grad flüssig geworden, sich mit der ebenfalls leicht verflüssigten Oberfläche des Glases verbinden und sich so untrennbar mit ihrem Trägermaterial vereinigen. Ich kenne keine Verbindung von Mal- und Trägermaterial, die intimer, inniger wäre. Man kann sie sehen, die erotische Lust am Verschmelzen, die Glas und Farbe im Brennofen empfinden oder man kann sie fühlen, fährt man zum Beispiel mit dem Fingernagel über die nun ausgehärtete Farbe. Hocherotisch ist auch die Verwendung von Antikgläsern, weiß man, dass sie in einem feurigen Prozess mundgeblasen in ihr Dasein kommen. In einen glühenden Klumpen Glas wird mit einem langen Rohr Atem hineingegeben, so dehnt unter Drehungen sich ein Zylinder hervor, dieser wird aufgeschnitten, so dass die flache Antikglastafel entstehen kann. Durchgefärbt ist das Antikglas und besitzt eine Farbintensität, die mit Glasmalerei in dieser Leuchtkraft bei Durchlicht nicht zu erreichen ist. Der Eros lebt in meinen Arbeiten vor allem in der tiefen Farbigkeit der Antikgläser. Figuren1 bringen in einer weiteren Ebene einen narrativen Aspekt in die Bilder, die dem Betrachter das Erlebnis der Farbe und der Komposition in einem erzählerisch fokussierten Geschehen auch über den Geschichten suchenden Verstand eröffnen. Die Formen der Protagonisten sind aus der Kunstgeschichte extrahiert und können in ihrer symbolisch wirkenden Ikonographie über eine zu enge und zu eindeutige Erzählung in umfassende geistige Verhältnisse hinausführen, die dann einen individuellen Dialog mit dem Betrachter entstehen lassen können.
Weiterhin habe ich für die Glasarbeiten die dem Glas spezifische Möglichkeit der verschiedenen sich durchdringenden Ebenen benutzt. Auch die Durchdringung der Einzelformen, die sich im Betrachten zusammenfügen, hat für mich einen Aspekt des Erotischen inne. So haben einige Protagonisten ihre Existenz über ein Linoldruck mit Keramikfarbe erhalten, andere haben über die Aussparung der Sandstrahlung den Weg zu ihrem Sein auf dem Glasbild gefunden, rückseitig auf dem Floatglas.
Meine Glasbilder entfalten ihre volle Wirkung in wechselndem Licht, im Idealfall als Stehle im Tageslicht außer Haus. Im Raum am besten mit Abstand frei stehend vor einem Fenster. Möglich ist auch eine direkte Platzierung vor einem Fenster, wobei sie so nur einseitig zu betrachten sind. Sind diese Möglichkeiten nicht gegeben, gilt es, ein dem Glas Leben gebenden Licht selbst zu generieren. In diesem Falle entsteht eine weitere Gestaltungsebene des Glasobjektes. In der Installation für die Galerie Hengevoss-Dürkop habe ich nicht einen das Bild gleichmäßig ausleuchtenden flachen Leuchtkasten gewählt, sondern mich entschieden, eine heute oft gebräuchliche LED-Leuchtröhre zu benutzen, so dass die Lichtquelle eindeutig zu sehen ist, im Bild in unterschiedlicher Intensität in Erscheinung tretend Licht-Differenzierungen erzeugt und nun auch die weitere Kompositionsebene der Lichtsetzung selbst zur Anschauung bringt.
Jörg Länger, Höhenmoos, im September 2017
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Glas ist ein traditionelles Material.
Glas ist ein robustes, Zeit überdauerndes Material.
Glas ist ein Material, das ein ganz besonderes Verhältnis zum Licht hat: während natürlich jedes Objekt erst durch darauf scheinendes Licht sichtbar wird, kann beim Glas auch Licht durch es hindurch scheinen. Es hat so im Grunde eine Betrachtungsdimension mehr. Diese außergewöhnliche Diaphanie führt dem Glas ein Mehr an Leben zu: Glas verändert sich durch sich veränderndes Licht wesentlich mehr als ein Bild auf beispielsweise einer Leinwand und erscheint so in vielfältigen Zuständen; es ist nicht möglich zu sagen, was sein eigentliches, originäres, hauptsächliches Sein ist, was seine Grundform ist. Ein Glasobjekt metamorphosiert in wechselndem Licht.
Dadurch wird Glas für den, der es gestaltet zu einer besonderen Möglichkeit und auch Herausforderung: es gilt bei der Herstellung eines Glasbildes einige der verschiedenen Möglichkeiten des auffallenden und durchscheinenden Lichtes (das ist die Hauptdifferenz der Beleuchtung) mit einzudenken.
Das Material Glas hat durch das gegenwärtige technische Potential ein sehr großes, vielfältiges Spektrum an Bearbeitungsvarianten zu offerieren: von der traditionellen Verarbeitung mit Antikgläsern und Bleiruten, Glasmalerei mit Keramikfarben und Ätzungen sind heute Sandstrahlung, Formungen von Strukturen, dauerhaftes Aufkaschieren von sich überlagernden Gläsern oder deren Verschmelzung im Fusing-Verfahren, Siebdruck, Übertragungen von Photographien mit keramischen Druckerfarben und ein von mir hier nicht vollständig aufzuzählender Umfang unterschiedlichster weiterer Techniken möglich.
Für die Exponate zum Thema „Eros“ habe ich mich zur Arbeit mit Glas entschieden. Für die Glasmalerei werden Keramik- oder Schmelzfarben verwendet, die bei 605 Grad flüssig geworden, sich mit der ebenfalls leicht verflüssigten Oberfläche des Glases verbinden und sich so untrennbar mit ihrem Trägermaterial vereinigen. Ich kenne keine Verbindung von Mal- und Trägermaterial, die intimer, inniger wäre. Man kann sie sehen, die erotische Lust am Verschmelzen, die Glas und Farbe im Brennofen empfinden oder man kann sie fühlen, fährt man zum Beispiel mit dem Fingernagel über die nun ausgehärtete Farbe. Hocherotisch ist auch die Verwendung von Antikgläsern, weiß man, dass sie in einem feurigen Prozess mundgeblasen in ihr Dasein kommen. In einen glühenden Klumpen Glas wird mit einem langen Rohr Atem hineingegeben, so dehnt unter Drehungen sich ein Zylinder hervor, dieser wird aufgeschnitten, so dass die flache Antikglastafel entstehen kann. Durchgefärbt ist das Antikglas und besitzt eine Farbintensität, die mit Glasmalerei in dieser Leuchtkraft bei Durchlicht nicht zu erreichen ist. Der Eros lebt in meinen Arbeiten vor allem in der tiefen Farbigkeit der Antikgläser. Figuren1 bringen in einer weiteren Ebene einen narrativen Aspekt in die Bilder, die dem Betrachter das Erlebnis der Farbe und der Komposition in einem erzählerisch fokussierten Geschehen auch über den Geschichten suchenden Verstand eröffnen. Die Formen der Protagonisten sind aus der Kunstgeschichte extrahiert und können in ihrer symbolisch wirkenden Ikonographie über eine zu enge und zu eindeutige Erzählung in umfassende geistige Verhältnisse hinausführen, die dann einen individuellen Dialog mit dem Betrachter entstehen lassen können.
Weiterhin habe ich für die Glasarbeiten die dem Glas spezifische Möglichkeit der verschiedenen sich durchdringenden Ebenen benutzt. Auch die Durchdringung der Einzelformen, die sich im Betrachten zusammenfügen, hat für mich einen Aspekt des Erotischen inne. So haben einige Protagonisten ihre Existenz über ein Linoldruck mit Keramikfarbe erhalten, andere haben über die Aussparung der Sandstrahlung den Weg zu ihrem Sein auf dem Glasbild gefunden, rückseitig auf dem Floatglas.
Meine Glasbilder entfalten ihre volle Wirkung in wechselndem Licht, im Idealfall als Stehle im Tageslicht außer Haus. Im Raum am besten mit Abstand frei stehend vor einem Fenster. Möglich ist auch eine direkte Platzierung vor einem Fenster, wobei sie so nur einseitig zu betrachten sind. Sind diese Möglichkeiten nicht gegeben, gilt es, ein dem Glas Leben gebenden Licht selbst zu generieren. In diesem Falle entsteht eine weitere Gestaltungsebene des Glasobjektes. In der Installation für die Galerie Hengevoss-Dürkop habe ich nicht einen das Bild gleichmäßig ausleuchtenden flachen Leuchtkasten gewählt, sondern mich entschieden, eine heute oft gebräuchliche LED-Leuchtröhre zu benutzen, so dass die Lichtquelle eindeutig zu sehen ist, im Bild in unterschiedlicher Intensität in Erscheinung tretend Licht-Differenzierungen erzeugt und nun auch die weitere Kompositionsebene der Lichtsetzung selbst zur Anschauung bringt.
Jörg Länger, Höhenmoos, im September 2017
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1 Über das narrative Element der Figuren: „Palingonisten, das sind so eine Art Protagonisten.“
„Palingonisten, das sind so eine Art Protagonisten.“
Protagonisten und Palingonisten, und Polygonisten.
Begriffserläuterungen dazu.
Über die in meinen Narrativen Kompositionen auftretenden Protagonisten.
Ein sehr umfangreicher Teil meiner malerischen und zeichnerischen Arbeiten ist auf dem Konzept der „Protagonisten aus 23.000 Jahren Kulturgeschichte“ aufgebaut: die Handlungsträger meiner Werke sind aus bereits existenten Artefakten extrahierte Figuren. Ich nehme mir ihren Schatten, belebe diesen mit Farbe und Strukturen in völlig anderer Weise wieder und füge sie so verwandelt in neu geschaffene Zusammenhänge, neu für mich und neu für sie. Und neu für den Betrachter, der sie in ihren zum Teil überzeitlich sprechenden Formen nun in einem zeitgenössisch geschaffenen Bild-Feld agierend wieder wahrnehmen kann. Die Figuren – auch ist es eine respektvolle Hommage an ihre Schöpfer – sind die Protagonisten, Handlungsträger, meiner „Narrativen Kompositionen“. Sie sind Wiederkehrer, so das explizit formulierte Konzept, aus der gesamten bekannten Kulturgeschichte, von frühsten Höhlenmalereien bis ins gegenwärtige Jahr sich erstreckend.
Doch sind es überhaupt Protagonisten, schon länger zweifelt Länger daran.
Eine verwirrendere Anmerkung: meine Protagonisten sind eigentlich Palingonisten.
Auch dieser Titel stimmt wiederum so nicht ganz, nicht alle meine Protagonisten sind Palingonisten! Schon länger ist mir klar, dass die Bezeichnung meiner Protagonisten einerseits zwar stimmt, aber andererseits auch nicht. Nun habe ich mich leider entschlossen, meine verwendeten Begriffe und Begriffsbildungen exakter zu setzen, auch wenn es alles verkompliziert und verwirrend ist und derartiges eigentlich nur recht wenige Menschen interessiert. Aber für die Minderheit dieser Wenigen sei es gemacht und Sie, liebe geneigte Lererin oder lieber geneigter Leser gehören sicherlich dazu.
Wie oben schon erwähnt, wird der “Protagonist” in unserem Sprachgebrauch ganz allgemein für eine Hauptfigur, einen Handlungsträger benutzt. Unter dieser Definition ist nichts gegen den Gebrauch des Begriffes „Protagonisten“ in meinen Bildern einzuwenden. Schaut man sich jedoch die etymologische Entwickelung der Protagonisten genauer an, findet man sie in der griechischen Tragödie als spezielle Träger der ersten Rolle, der Protagonist ist der erste auftretende Schauspieler, was auch gleichzeitig bedeutet, er hat die Hauptrolle inne, vom Deuteragonist und Tritagonist, der zweiten und dritten Hauptrolle, gefolgt. Meine Protagonisten haben ihren ersten Auftritt schon gehabt, bei einem Künstler-Kollegen, der sie im Laufe der Kulturgeschichte geschaffen hat, bei mir haben sie deshalb (meist) ihren zweiten Auftritt. Sie sind jedoch keine Deuteragonisten, denn das sind ja zweite Rollen, Agierende, die nach dem Erscheinen des Prota-Gonisten auftreten. In meinen zeitlosen, da 2‑dimensionalen Bildern, treten beim Herstellen zwar die Handelnden nicht gleichzeitig auf, sind aber für eine Betrachtung geschaffen, in der alles gleichzeitig anschaubar ist, wie kann man bei einer gleichzeitigen Bildoffenbarung in Protagonisten und Deuteragonisten differenzieren? Meine Protagonisten sind Wiederkehrer in der Kunstgeschichte oder darin Wiedergeborene: also Palingonisten von altgriechisch „pálin“, wieder (palingenesia, die Wiedergeburt).
Aber doch! Es gibt auch weiterhin Protagonisten in meinen Bilder, in einigen Bildern.
Genauer gesagt sind nicht alle meiner Protagonisten Palingonisten:
— meine Linolschnitte nach Kollegen sind Palingonisten, den es sind Wiedergeborene, die bereits eine Erst-Existenz in einem andern Kunst-/Kulturzusammenhang hatten, der nicht durch mich geschaffen wurde. In meinen Bilder werden sie wiedergeboren.
— meine neu und eigen geschöpften Figuren, ohne Hommage an Kollegen, also ohne Vorlage, von der ich den Schattenriß extrahiere, sind Protagonisten, da sie zum ersten Mal einen Malgrund betreten. Das „Prota“ bezeichnet nicht (nur) ihren ersten Auftritt in einem Stück, sondern (in meinem Werkkosmos) den ersten Auftritt der Figur überhaupt.
Doch, nein, nein, so einfach ist das nicht, da gibt es Unterschiede:
— es gibt unikatäre Figuren, zum Beispiel mit Ölfarbe oder Tusche gemalt oder gezeichnet, die nur einmalig existieren, in einem Bildwerk erschaffen ist es ihre erste und gleichzeitig letzte, ihre einzige Rolle.
— Und es gibt Linolschnitte, die von mir ebenfalss frei ohne ein Kulturzitat zu sein, geschaffen wurden. Sie sind Erstgeborene (Protagonisten), aber sie sind durch die mit Hochdrucktechnik ausgeführten Wiederholungen auch Wiederkehrer (Palingonisten), sind allerdings auf verschiedenen eigenen Bildträgern innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne geboren, die jedenfalls nicht länger als die werktätigen Phase eines Menschen andauert und ausserdem meist durch den Handdruck bei aller Ähnlichkeit auch Unterschiede erscheinen lässt. Vielleicht sind es daher eher Vielgeborene statt Wiedergeborene, eine Art Viellinge, im Sinne von Zwillingen, Drillingen etc.: Also Vielgeborene, Polygonisten, sind die ohne Vorlage und bezug zu Vergangenheit und Kollegen geschaffenen Druckstöcke aus Linoleum mit ihrer seriellen Potenz.
So bereichern Palingonisten, Protagonisten und Polygonisten meine Narrativen Kompositionen mit einer figürlichen Ebene oder Schicht oder Deutungsmöglichkeit.
Doch von dem Begriff der Narrativen Kompositionen mehr an andere Stelle …
Über die Verwendung des Begriffes der Protagonisten in Texten vor Dezember 2021:
In früheren Texten kann es durchaus möglich sein, dass der Begriff der „Protagonisten“ sich im alten Sinne weiterhin auch auf alle meine Linoldrucke nach bereits existenten Motiven im Sinne der Bedeutung als „Hauptfigur“ bezieht.
In eigenen Texten werde ich, wenn genug Zeit, die differenzierteren Begrifflichkeiten ersetzend einfügen, Texte von anderen kann ich lediglich mit einem Hinweis darauf versehen.
Jörg Länger, im Dezember 2021