Der Sternenmantel und die Ästhetik der Protagonisten.
Dr. phil. Dr. theol. Matthias Scherbaum
Rezension zur Sonderausstellung
Jörg Länger: „Passion und Heilsgeschehen. Für Dom und Alltag“
28.02.2014 bis 02.05.2014 im Bamberger Diözesanmuseum
Der Sternenmantel und die Ästhetik der Protagonisten.
Große Kunst von Jörg Länger im Bamberger Diözesanmuseum.
Wer ist Jörg Länger? Diese Frage wird sich wohl so mancher gestellt haben, der in den letzten Tagen das Bamberger Diözesan-Museum besucht hat, denn seit dem 28. Februar ist dort eine Sonderausstellung des in Hamburg lebenden Künstlers zu sehen. Aus verschiedenen Gründen kann man Jörg Länger vielleicht als einen der bemerkenswertesten Gegenwartskünstler im deutschsprachigen Raum bezeichnen. Das unterstreicht diese Sonderausstellung nachdrücklich.
Die Werke Längers zeichnen sich – dies mag eines ihrer zentralen Merkmale sein – durch eine große Dichte, Konzentration aus. Die hohe Qualität der Werke Längers lässt sich nicht zuletzt aus ihrem Bezug zum Schaffen von Joseph Beuys verstehen, der eine der Inspirationsquellen für Länger darstellt. Doch in einer anderen Akzentsetzung als Beuys, der häufig alltägliche Gebrauchsgegenstände durch eine weitestgehend unveränderte Installation in einem Museum zum Kunstwerk deklarierte und damit ein recht intellektuelles Kunstkonzept vertrat, zeichnen sich die Werke Längers v.a. durch eine Art Wärme aus, die mitunter auch einer gewissen humoristischen, augenzwinkernden Komponente nicht ganz entbehrt. Charakteristisch für das Kunstschaffen Längers ist zum einen das Gestaltungsprinzip der sogenannten Protagonisten, und zum anderen die Dimension der Zeit als konstitutiven Gestaltungsmoment und Ästhetikum. Einige wenige Beispiele sollen das Gesagte verdeutlichen.
Doch vorab ein Wort zu Längers Konzept der Protagonisten. Als Protagonisten bezeichnet er ein Objekt – aus einer 23.000 Jahren bis an die Gegenwart reichenden Kulturgeschichte, – mit der er in künstlerisch-gestaltender Weise verfährt, d. h. er greift sich ein Bild, v.a. eine Figur aus einem Bild, eine Plastik oder ein sonstiges Objekt vornehmlich der Kunstgeschichte heraus, entnimmt es seinem ursprünglichen (historischen und / oder künstlerischen) Kontext und verwendet es, gleichsam als Vorlage und Inspirationsquelle, in einem seiner eigenen Kunstwerke neu. Damit stellt er sich nicht nur in die Tradition der Kunstgeschichte, gliedert sich ihr gewissermaßen ein, durchaus mit dem Impetus der Anerkennung und Wertschätzung (der Begriff des Protagonisten ist bekanntlich dem Theater entlehnt und bezeichnet im Gegensatz zu den Komparsen etc. den Hauptdarsteller), sondern verleiht diesem Protagonisten in seinem eigenen Kunstwerk gleichsam neues Leben: Die Idee der Protagonisten ist somit gedacht als wechselseitiges Geben und Nehmen, eine Interaktion zwischen dem Künstler Länger und der großen Tradition der Kunstgeschichte.
„AdActA?“ nennt sich etwa eine Installation aus sieben iranischen Kaviarkisten, die Länger in Form eines Kreuzes angeordnet hat. Wie bei Beuys wird dadurch ein ganz normaler Gebrauchsgegenstand – in diesem Fall sieben Kaviarkisten – durch ein bestimmtes Arrangement und die Platzierung im Museum aus der Sphäre der bloßen Alltäglichkeit herausgehoben und grundsätzlich ästhetisiert, in diesem Fall sogar, durch die Kreuzform, sakralisiert. Die Sakralisierung geht allerdings noch einige Schritte weiter, indem Länger 33 Aktenordner (also wiederum rein alltägliche Gebrauchsgegenstände) in die leeren Kaviarkisten einstellt, die die Lebensjahre Christi auf Erden symbolisieren. Länger erreicht eine Verdichtung des Bezugs zu Jesus Christus durch den vollständigen Zusammenfall von Form – Kreuz – und Inhalt – 33 Aktenordner. Der erste Schritt zur Ästhetisierung und Sakralisierung ursprünglich reiner Gebrauchsgegenstände ist damit getan.
Indem nun Länger sein Grundkonzept der Protagonisten an dieser Stelle anwendet, erreicht er eine weitere Tiefendimension und Verdichtung des Objektes: Aus der abendländischen Kunstgeschichte (etwa von Matthias Grünewald, Dürer, Beuys usw.) hat er Christusfiguren – wiederum 33 – aus ihrem eigenen Kontext herausgenommen und sie als monochrome Silhouettenformen auf die 33 Aktenordner in den Kaviarkisten befestigt, und zwar so, dass sie gemeinsam die Form des Gekreuzigten bilden. Erneut und in neuer Weise fallen Form und Inhalt in gänzlicher Entsprechung zusammen, bereichert durch den Aspekt der Wechselbeziehung zwischen Künstler und Kunstgeschichte, was die erwähnte Dichte und Konzentriertheit des Kunstwerkes weiter steigert. Doch das ist noch alles: Länger hat die 33 goldglänzenden Christusfiguren mit Magneten an den 33 Aktenordnern angeheftet, um den Betrachter einzuladen, selbst an dem Arrangement der 33 Christusfiguren mitzugestalten. So kann man etwa den Schwung der Beine des gekreuzigten, seine Arme oder seinen Kopf nach eigenem Ermessen gestalten, man kann die 33 Protagonisten eins zu eins den 33 Aktenordnern zuordnen oder auch entweder überhaupt einen Kruzifixus oder ein zweites kleineres Kreuz innerhalb des großen Kaviarkisten-Kreuzes herstellen und damit selbst Einfluss auf die Erscheinung des Kunstwerkes nehmen. Dies ist ein zwar begrenzter, allerdings entscheidender Akt der Beteiligung des Rezipienten am Kunstwerk ist, ist es doch just das Arrangement der sieben leeren Kaviarkisten, das den ersten und wichtigen Schritt zur Formgebung des Kreuzes darstellt und damit die Ästhetisierung und Sakralisierung des Objektes bewerkstelligt, weswegen die Möglichkeit zum Arrangieren durch den Besucher eine so gesehen nicht unbedeutende Tätigkeit des eigenen Kunstschaffens im Rahmen dieses Kunstwerkes eröffnet.
Alle diese Gestaltungsmöglichkeiten des Betrachters erzeugen nun ihrerseits wiederum die Dichte des Kunstobjektes, denn sie alle und wahrscheinlich noch weitere sind im Werk angelegt. Durch diese Einbeziehung des Betrachters wird aber auch eine ganz neue Ebene der Wechselbeziehung evoziert, denn so wie Länger in ein Wechselverhältnis zur Kunstgeschichte tritt, so kann der Betrachter in ein Wechselverhältnis zum Kunstwerk Längers treten, was eine grundlegend interaktive, dialogische, interpersonale Dimension des Kunstwerks markiert.
Dies ist in dem Fall von „AdActA?“ insofern noch einmal von Bedeutung, als damit die ästhetische, gestaltende Arbeit am corpus Christi (denn das Kunstwerk kann unter anderem, wie gesagt, auch einen Kruzifixus darstellen) durch den Betrachter durchaus auch metaphorisch verstanden werden kann als Mitarbeit an dem Gedanken der communio, der Gemeinschaft der Gläubigen.
Einen weiteren Schritt der ästhetischen Verdichtung kann man schließlich auch im Titel erblicken: „AdActA?“ Normalerweise schreibt sich die geläufige Floskel durchaus anders, nämlich ad acta, so dass man zweifellos vermuten darf, dass Länger mit dieser eigenwilligen Schreibweise etwas beabsichtigt. Und tatsächlich wird man mit dem Titel nicht nur problemlos den Bezug zu den 33 Aktenordnern herstellen können, sondern auch in dem zu einem Wort kontrahierten Begriff mit seinen drei exponierten Buchstaben „A“ eine Anspielung auf den Gedanken der Trinität, der Dreieinigkeiten sehen können. Das Fragezeichen hinter dem Titel „AdActA?“ lädt erneut, nun auf sprachlicher bzw. gedanklicher Ebene zum Dialog ein (Ist denn das Christentum, die Idee Christi, das Leben und Sterben des Heilands usw. denn nun tatsächlich eine Sache, die man einfach so ad acta legen kann – eine Frage, die angesichts diverser Krisen der christlichen Kirchen und der Idee des Christentums selbstverständlich durchaus gestellt werden kann und auch gestellt wird, nur ob es damit schon seine Bewandtnis mit der Sache als solcher hat? usw.), so dass man Längers Kunst als ausgesprochen kommunikativ, dialogisch, interaktiv und in der Idee der Mitgestaltung an den 33 Protagonisten durch den Betrachter als sehr offen, unprätentiös und sozusagen betrachterfreundlich bezeichnen kann. Man kann bereits in dieser kurzen Darstellung fünf oder sechs Dimensionen erkennen (im Werk selbst lassen sich noch weitere Sinnebenen erschließen), die alle wie in einem einzigen Punkt in diesen sieben arrangierten Kaviarkisten als einem einzigen Kunst-Nukleus kondensieren bzw. koinzidieren und somit eine Konzentriertheit dieses Kunstwerkes erzeugen, die von einer bemerkenswerten ästhetischen Kraft spricht.
Besonders erwähnenswert erscheint mir, dass Länger im Zusammenhang der Bamberger Sonderausstellung etliche Werke neu geschaffen hat. So etwa eine ganze Sequenz von „Paraphrasen zum Gunthertuch“ (ein wertvoller Seidenstoff wohl aus dem 10. Jahrhunderts im Bamberger Diözesanmuseum), wobei man unschwer die Idee der Protagonisten – eben aus dem Gunthertuch – wiederfinden kann, was als Hommage an dieses Kunstwerk und damit auch an das Bamberger Museum in genere gedeutet werden kann. Die „Paraphrasen zum Gunthertuch“ bestechen in erster Linie durch ihr interessantes Farbempfinden, sind also weniger von ihrer konzeptionell-programmatischen Seite her erschließbar, als eher von der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, in diesem Fall der Farbqualitäten. Eventuelle Bezüge zu Goethes Farbenlehre sind denkbar, wobei Länger primär die Originalfarben des Gunthertuches aufnimmt und sie im Verhältnis zum Original in ihrer jeweiligen qualitas stark intensiviert, was in seinem bemerkenswerten optischen Effekt sicherlich nicht zuletzt auch dem gewählten Trägermaterial, sogenanntem Alu-Dibond zu verdanken ist.
An einem weiteren Kunstwerk Längers wird der bereits oben angesprochene Gedanke der Wertschätzung des Bamberger Diözesanmuseum bzw. seiner Exponate vielleicht besonders eindrucksvoll greifbar, einem Werk, das keinen eigenen Titel trägt und aus sieben Bildern von Länger über dem Sarkophag der heiligen Kaiserin Kunigunde im Kreuzgang des Bamberger Diözesanmuseums besteht. Offenbar fungiert in diesem Fall der Sarkophag Kunigundes als (quasi figürlicher) Protagonist. Die ersten vier Bilder Längers, die in waagrechter Reihung ein paar Handbreit über dem Sarkophag Kunigundes hängen, tragen den Titel „König Tod“, eine Serie, die Länger ganz unabhängig von der aktuellen Sonderausstellung bereits im Jahre 2007 angefertigt hat, dabei als Protagonisten einen „Alttestamentarischen König“ des Bernard de Montfaucon nutzend. Wiederum einige Zentimeter über dieser Vierergruppe hängen drei Bilder Längers aus ganz unterschiedlichen Schaffensperioden, also nicht eigens für die Sonderausstellung konzipiert, links und rechts die drei „Lichtgenien“ aus Philipp Otto Runges Bild „Der große Morgen“ (2010), mittig ein Marientod (mit einer Protagonistenfigur von Giotto). Durch diese Anordnung gelingt es Länger, das Thema Tod (Sarkophag der Kunigunde, „König Tod“) und Auferstehung (Lichtgenien / „Der große Morgen“) – also wiederum eine pointierte Sakralisierung – auf nunmehr sogar verschiedenen Ebenen (Kunigendensarkophag und die Protagonisten in Längers eigenen Bildern) zu realisieren, was in der ursprünglichen Intention seiner eigene Bilder gar nicht angelegt war. Dass dieses Gesamtarrangement (Sarkophag der Kunigunde – Vierergruppe „König Tod“ – Dreiergruppe mit „Lichtgenien“) als ein einziges Bild zu verstehen ist, macht unmissverständlich eine große weiße Leinwand klar, die hinter diesem Gesamtarrangement hängt.
Länger verwendet damit seine eigenen Bilder gleichsam als Material – wenn man so will als Protagonisten, womit in diesem Kunstwerk das Protagonisten-Konzept regelrecht weiter potenziert ist, denn insgesamt finden sich in diesem Gesamtbild 3 Typen bzw. Ebenen von Protagonisten, die zu einem einzigen Bild als ein einziger ästhetischer Nukleus verdichtet sind: 1. der Sarkophag der Kunigunde, 2. die Protagonisten in den Bildern Längers (Montfaucon, Runge, Giotto] und 3. Längers Bilder selbst. Durch das Wechselverhältnis, das diese drei Arten von Protagonisten miteinander eingehen, entsteht das Gesamtkunstwerk, in dem Länger sein eigenes künstlerisches Material in eine gänzlich neue Kunstform hineinverwandelt.
Aber nicht nur, dass Länger seine bereits vor einigen Jahren geschaffenen Werke in wertschätzender Haltung dem Kunigundensarkophag zuordnet – dadurch, dass er einen vor Ort befindliches Objekt (Sarkophag) als Protagonist zum Anlass der Gestaltung dieses Gesamtbildes nimmt, geschieht – und hier zeigt sich die ästhetische und konzeptionelle Stärke, ja fast schon Wucht der Idee der Protagonisten und der darin ihnen innewohnenden bzw. innewaltenden jeweiligen Wechselbeziehungen – rückwirkend die Ästhetisierung nicht nur des Kunigundensarkophages (der als solcher zwar ein bedeutendes Exponat, aber kein Kunstwerk im eigentlichen Sinne), sondern damit auch des gesamten Kreuzganges, in dem der Kunigundensarkophag als ein integraler Bestandteil steht. Durch das Längersche Arrangement wird also in wechselseitigem Verhältnis ein Kunstwerk geschaffen, andererseits durch dieses Kunstwerk der gesamte Raum, in dem es sich befindet, ebenfalls zum Kunstwerk. Wir haben es also nicht nur mit einer wohlwollenden Würdigung der Lokalität als solcher zu tun, sondern darüber hinaus mit einer konzeptionell gänzlich konsequenten Ästhetisierung eines eo ipso non-ästhetischen Objektes, in diesem Fall dem Kreuzgang als Ausstellungsraum.
Zusätzlich geht die Ausstellung der Gesamtinstallation so weit, dass der gesamte Teil des Kreuzgangs, in dem sich der Sarkophag befindet, zum integralen Bestandteil des Kunstwerkes erhoben ist. Die immense Lebendigkeit und Dynamik dieses Entwurfes finde ich nicht nur sehr gelungen, sondern v.a. auch deswegen sehr bemerkenswert, weil man gängiger Weise in der (zeitgenössischen) Kunst doch oftmals die stark einseitige Betonung bzw. Fokusierung auf das Kunstwerk als solches findet. Durch die Dichte und Konzentriertheit der Installation einerseits und ihre Ausstrahlung in den Umraum andererseits ist aber nur eine der Ebenen, die der Betrachter erfahren kann, angesprochen; wenn er sich in diesen ästhetischen Raum hineinstellt, kann er unter Umständen eine weitere Ebene erleben, nämlich eine Atmosphäre zeitloser, frei lassender Spiritualität.
In diesem Zusammenhang ist noch eine weitere Dimension dieses Kunstwerkes aufzuspüren, vielleicht sogar die interessanteste. Dass die Installation in dieser Form exklusiv für das Bamberger Diözesanmuseum von Länger geschaffen wurde, heißt auch, dass es nicht nur prinzipiell einzigartig und nicht wiederholbar ist – sondern dass es auch am letzten Tag der Sonderausstellung für immer vergangen sein wird. Dieses Kunstwerk hat also nicht nur seine eigene Zeitspanne gewissermaßen als ästhetisches Lebewesen, sondern es hat auch, wie alles Leben in irdischen Zusammenhängen, seinen eigenen unabwendbaren Tod. Damit wird die Sphäre der Zeit, des Zeitlichen auf konzeptioneller Ebene bzw. in konstitutiver Hinsicht bestimmend für dieses Werk, wodurch es sich unterscheidet von dem in der Kunstgeschichte oftmaligen und oftmals auch sehr gelungenen Versuch, Zeit auf der Ebene des Dargestellten zu thematisieren. In Längers Kunstwerk wird Zeit und Zeitlichkeit nicht nur im Modus des Dargestellten thematisiert, sondern Zeit und Zeitlichkeit ist die innere qualitas, das innere Leben dieses Kunstwerkes, das schlechthin konstitutive Element, aus dem heraus dieses Kunstwerk besteht. An diesem Werk Längers bewahrheitet sich in augenscheinlicher Weise der Sinn des bekannten Satzes, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, denn auch wenn selbstverständlich die einzelnen Momente und Protagonisten in summarischer Weise in und als dieses Kunstwerk zusammengebracht werden, so ist es doch in besonderer Weise die hierin waltende Idee, das Konzept sowie das spezielle Arrangement, das auf ästhetischer und geistiger Ebene etwas Neues schafft, das aus den einzelnen Elementen dieser Komposition und ihrer Summe keineswegs ableitbar ist, sondern eine neue und ganz eigene Qualität sui generis ins Leben ruft. Wir haben an dieser Stelle also bereits eine Höhe und Größe des Ästhetischen erreicht, wie man beides vermutlich nicht allzu oft und v.a. auch nicht in solcher Schlüssigkeit findet. Doch Länger steigert selbst diese Dimension nochmals um einen Dreh mit einem Exponat im ersten Stock des Diözesanmuseum, das er als „Sternenmantel“ bezeichnet.
Im ersten Stock des Bamberger Diözesanmuseums hängen Stoffe, mittelalterliche Paramente, aus vornehmlich dem 11. Jahrhundert, die in ihrer Art ohne Zweifel von Weltrang sind. Von besonderer Bekanntheit dürfte hierbei der sogenannte Sternenmantel Kaiser Heinrichs II. sein, der zusammen mit noch weiteren mittelalterlichen Stoffen neben dem sogenannten Reitermantel und dem Mantel der Kunigunde gehängt ist. In diesem Raum befindet sich im Rahmen der Sonderausstellung eines der bemerkenswertesten Kunstwerke Längers, das er, seinem Protagonisten-Prinzip getreu, ebenfalls als „Sternenmantel“ bezeichnet und damit zum Bamberger Sternenmantel ins Verhältnis setzt. Zwei quadratische Bilder bzw. Installationen Längers sind links und rechts des originalen Sternenmantels so angeordnet, dass sie eine kontinuierliche Einheit herstellen zwischen und mit den erwähnten drei Bamberger Mänteln, so dass wir es wiederum mit dem oben bereits beschriebenen Phänomen zu tun haben, dass durch das Zusammenspiel von Exponaten aus dem Bestand des Bamberger Diözesanmuseums und Werken Längers (auch hier wieder eigens für die Sonderausstellung geschaffen) ein ganz neues und in dieser Form nicht wiederholbares, also einmaliges Kunstwerk (ebenfalls mit dem auch oben bereits erwähnten Zeitaspekt) entsteht.
Es handelt sich um eine komplexe Doppelkomposition auf Ali-Dibond-Unterlage, in der eine von Länger selbst getragene Leinenjacke, die eben zu diesem „Sternenmantel“ umgearbeitet wurde, als wesentliches Element fungiert. Die linke Installation besteht aus einem tiefblauen, fast schwarzen Hintergrund, auf dem sich weiß die Umrisse und Fläche einer Jacke mit ausgebreiteten Ärmeln abzeichnen (Kreuzassoziation). Mittig ist eine relativ große Fläche Blattgold auf der weißen „Jacke“ aufgetragen; besieht man sich diese Fläche genauer, so bemerkt man, dass die eigentliche Jacke – die auf der rechten Installation (also rechts des Bamberger Sternenmantels) fixiert ist – offenbar ursprünglich auf die linke Alu-Dibond-Unterlage aufgetackert war, denn die Löcher der Tackernadeln, die ebenfalls entfernt sind, zeichnen sich noch deutlich ab (Assoziation zu Kreuzesnägeln denkbar). Die Jacke selbst wurde in folgender Weise bearbeitet: Mit Weihrauchkohle, die er auf die Jacke gelegt und angezündet hat, hat Länger Löcher in die Jacke gebrannt, was auf der linken Installation kohlige Spuren auf dem Blattgold zurückgelassen hat.
Wie schon bei den oben besprochenen Installationen lässt sich auch hier wieder ein Verdichtungsprozess konstatieren, und zwar auf mehreren Ebenen: Die auf der linken Tafel nunmehr nur noch als im Wesentlichen weißes Silhouetten-Abbild sichtbare Jacke, die insofern als das Negativ der echten Jacke bezeichnet werden kann) wendete dem Betrachter ihre Rückseite zu, während ihn auf der rechten Tafel nun das Innere (das Innenfutter) des Jackenpositivs anschaut. Die Jacke wurde also von dem einen Bild zum anderen doppelt spiegelverkehrt bewegt bzw. gewendet (von außen nach innen, von hinten nach vorn). Optisch ergibt sich eine achsensymmetrische Entsprechung der beiden Jacken(bilder). Auf das Thema Positiv und Negativ wird noch zurückzukommen sein.
Dieses ganze Spiel von Spiegelungen dreht sich um die Spiegelachse des Bamberger Sternenmantels, womit die Idee der Protagonisten wiederum auf mehrfacher Ebene ausgeführt wird: der Mantel dient nicht nur als bild- bzw. motivgebender Protagonist, sondern eben auch als Dreh- und Angelpunkt, um den sich das Kunstwerk Längers bewegt und entwickelt, so dass das Ensemble – die beiden Längerschen Bilder rechts und links vom Bamberger Sternenmantel – durchaus als dynamisiertes Triptychon plausibel ist, denn auch hier zeigt sich wieder in, wie ich finde, noch gesteigerter Weise die dynamisierende, belebende Kraft der Wechselwirkung der Protagonistenidee Längers, die so gesehen ein unglaubliches ästhetisches Potential in sich birgt, das man in schier unendlicher Weise ausbuchstabieren kann – wie es Länger auch in großer Virtuosität in dieser Sonderausstellung vorführt.
Betrachtet man sich den rechten „Sternenmantel“ eingehend, so wird man feststellen, dass unter den Brandlöchern, die von der Weihrauchkohle in ganz unterschiedlicher Weise eingebrannt wurden, ein Goldgrund durchschimmert – denkt man an die ostkirchliche Ikonenmalerei, fällt die Assoziation von Goldfarbe und Göttlichem sicherlich nicht schwer. Sind die aus feinem Golddraht gestickten Sterne des Bamberger Sternenmantels als Applikationen auf den Seidendamast als Trägerstoff aufgenäht, so dass sie golden auf blauem Untergrund leuchten, glänzt das Gold des rechten Längerschen „Sternenmantels“ unter den Brandlöchern, was eine gelungene Spiegelung seinerseits darstellt und ein doppeltes Verhältnis zum Bamberger Protagonisten herstellt. Der Hintergrund nämlich des Längerschen „Sternenmantels“ ist ein von hellerem zu dunklerem Blau (Preußischblau) wechselnder Farbton, und entspricht damit der Farbe des Bamberger Sternenmantels, wohingegen die Jacke Längers naturleinen-farbig ist, mit Bezug zum klassischen Leinwand-Malgrund. Somit kann man bereits jetzt sehen, dass auch diese „Sternenmantel“-Tafel Längers aus einer ähnlichen Dichte an Ebenen besteht, wie sie bereits bei „AdActA?“ exemplarisch herausgearbeitet wurde: Er besteht aus den Schichten 1. der Jacke selbst, 2. der Brandlöcher, 3. einer farblosen Grundierung (ich komme gleich hierauf noch zu sprechen), 4. der Blattgoldschicht unter den Brandlöchern und 5. dem Blau des Grundträgers; das ist nicht nur spiegelsymmetrisch zum linken „Sternenmantel“ Längers (und axial zum Bamberger Original) arrangiert, sondern wechselt (mit dem linken „Sternenmantel“) beständig zwischen Positiv und Negativ, zwischen Original und Abzug (sowie beide Installationen Längers mit dem Bamberger Protagonisten), wobei auch die Brandlöcher auf dem rechten „Sternenmantel“ in ein permanent changierendes Wechselverhältnis zu den Brandspuren auf dem Blattgold des linken Sternenmantels treten und auch hier Positiv und Negativ jeweils, je nach Akzentsetzung und Betrachtungsstandpunkt, wechselt.
Aus dem soeben Gesagten lässt sich jedoch noch etwas Weiteres ersehen, und zwar wiederum eine konstitutive, neue Art und Weise, die Dimension der Zeit als integralen Bestandteil in das Kunstwerk aufzunehmen (unabhängig und gewissermaßen über die Art konstitutiver Zeitlichkeit hinaus, wie sie bei Längers Werk mit dem Kunigundensarkophag als Protagonist beschrieben wurde, die sich als solche aber ebenfalls beim „Sternenmantel“ wiederfinden lässt), und zwar in diesem Fall hinsichtlich der Sichtbarkeit der zeitlichen Sukzession der Produktionsästhetik. Zuerst hat Länger nämlich mit Weihrauchkohle die Brandlöcher auf der von ihm selbst getragenen Leinenjacke erzeugt, dann hat er dieselbe auf eine Alu-Dibond-Unterlage aufgetackert, die er zuvor mittig mit Blattgold bearbeitet hat; anschließend hat er die so aufgetackerte Jacke farblos grundiert, was dazu geführt hat, dass sich die Reste der verkohlten Brandlöcher der Leinenjacke auch auf dem Blattgold in unterschiedlicher Weise niedergeschlagen hatben. Danach wurden um die Jacke herum mehrere Schichten Preußischblau aufgetragen (was wiederum den Aspekt der Verdichtung evoziert), die fast schon (auch hier wäre wieder ein Bezug zu Goethes Farbenlehre denkbar) ins Schwarze hineinchangieren. Im Anschluss hieran wurde die Leinenjacke abgenommen und auf einer wiederum bereits im Vorfeld mit Blattgold präparierten Alu-Dibond-Fläche erneut aufgetackert, die entweder vorher oder nachher um das Blattgold bzw. um die aufgetackerte Jacke herum blau bemalt wurde usw. Die Sichtbarkeit der zeitlichen Dimension der Produktionsästhetik ist insofern so bemerkenswert, weil damit eine immense Dichte zumal hinsichtlich des linken „Sternenmantels“ erzeugt wird, der jetzt nur noch als Negativ vor uns liegt, der aber das ursprüngliche Positiv war und der dort schon in vielfältiger Weise (jetzt nur noch als Negativ bzw. Umriss vorhanden) künstlerisch gestaltet wurde. Somit wird eine zeitliche Dichte erzeugt, der damit in eins eine Dichte der ästhetischen Behandlung korrespondiert, die jetzt – gespiegelt – nur noch als Negativ vor uns liegt, aber auf dem rechten „Sternenmantel“ als Positiv sichtbar wird, was aber bedeutet, dass das jetzige Negativ einst das Positiv war, das jetzige Positiv als rechter „Sternenmantel“ in diesem Verhältnis so gesehen fast als Negativ zu denken ist usw. Ein ungemein komplexer Prozess also an diversen Wechselverhältnissen, Spiegelungen, Verdichtungen, Zeitverhältnissen usw. spielt sich auf diesen beiden „Sternenmänteln“ ab. Das Moment der Dichte verdichtet sich hiermit selbst nochmals entscheidend, da nicht nur verschiedene Ebenen (materielle und geistige Schichten) hier zusammenfallen, sondern auch Wechselverhältnisse, Spiegelungen und v. a. mehrfach changierende Zeitverhältnisse – alle jeweils für sich schon mehrfach verdichtet – zu einer atemberaubenden multiplen ästhetischen Gesamtdichte koinzidieren und verdichten.
Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch der Titel „Sternenmantel“. Es wurde bereits gesagt, dass rein optisch bzw. assoziativ auf der rechten Installation die über Blattgold liegenden Brandlöcher auf Längers Jacke den goldenen Sternen auf dem Bamberger Original entsprechen, analog hierzu die Brandspuren auf Blattgold der linken Installation. Somit würde sich der Terminus „Sternenmantel“ nur optisch und vom Arrangement her rechtfertigen lassen, denn die Brandlöcher bzw. ‑spuren stellen keine Sterne dar, stehen nur in etwa an den Stellen, wo im Original Sterne appliziert sind. Ein kurzer Blick auf den Bamberger Sternenmantel macht klar, dass die dort dargestellten Sterne achteckig sind, genauer gesagt handelt es sich um je zwei miteinander verschränkte Vierecke. Die Zahl acht steht in der antiken (von Pythagoras herkommenden) und mittelalterlichen Zahlensymbolik – mit der das Mittelalter in teils ausgiebiger Weise gearbeitet hat – für Vollkommenheit bzw. die überirdische Welt usw. Wirft man nun einen genaueren Blick auf die linke Installation Längers, so wird man sehen, dass sich sehr wohl auch ein Stern auf diesem Werk findet, und zwar ein mit grauer Ölkreide gezogenes, offenes Pentagramm, ein Fünfeck bzw. fünfeckiger Stern. In erwähnter Zahlensymbolik entspricht die Fünf dem Menschen (zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf; fünf Finger, fünf Zehen; fünf Sinne usw.), was eine ganz interessante Bezüglichkeit und zugleich Brechung mit der Zahlensymbolik auf dem Bamberger Sternenmantel erzeugt: Geht es im Bamberger Original um die Vollkommenheit der Himmlischen Sphäre, so geht es – in welcher Weise auch immer – bei Länger um den Menschen, wenigstens von der Seite der Zahlensymbolik. Auf dem rechten „Sternenmantel“ scheint diesem Fünfstern etwas zu korrespondieren, etwas ausgesprochen Bemerkenswertes: Über der angetackerten und mit Brandlöchern versehenen Jacke schweben, vielleicht sogar nach oben, – fünf Positive, fünf Stoffreste, die die Weihrauchkohleglut offenbar als innere Kerne ausgespart hat und die somit – mit einem verkokelten Rand – übriggeblieben sind und die verbunden ebenfalls das offene Pentagramm ergeben. Abgesehen davon, dass auch hier wieder in einer phantastischen Weise Positiv und Negativ, Innen und Außen miteinander wechselweise korrespondieren, ist diese Idee bzw. Symbolik so stark und tief, dass ich sie keinesfalls ausdeuten kann, ich vermute aber, dass die genuine Kraft dieser Aussage wahrscheinlich ohnehin jedem intuitiv klar werden dürfte.
Vielleicht handelt es sich bei diesem Kunstwerk um den ästhetischen Niederschlag einer Art eines eigenen spirituellen Erlebnisses oder dergleichen. – Die erwähnte Fünfzahl deutet darauf hin, dass es um den Menschen geht. Dass es Längers eigene ehemalige Leinenjacke ist, die er selbst getragen hat, spricht hierbei eine klare Sprache. Dass es sich um ein Vorher-Nachher, ein Positiv-Negativ-Verhältnis handelt, ist augenscheinlich und dass es sich im weitesten Sinne um eine metaphysische Anspielung handelt, markiert das Blattgold unmissverständlich. Dass die Brandlöcher der Glut von Weihrauchkohle geschuldet sind, ist ein starker, fast schon drastischer Verweis auf die religiöse, spirituelle Sphäre. Diese Brandlöcher könnten eine Anspielung auf das sein, was der Religionsphilosoph Rudolf Otto im Kontext seiner Untersuchung über das Numinose (Heilige, Göttliche) als mysterium tremendum bezeichnet, die erschütternde, Zittern machende Erfahrung mit dem Göttlichen bzw. regelrechte Überwältigung durch dasselbe – und tatsächlich kann man sich zweifellos mitunter verbrennen, wenn man dem Heiligen zu nahe kommt; die diversen heiligen Schriften der verschiedensten Völker wissen davon eingehend zu berichten. Vielleicht kann man sogar im übertragenen Sinne – das generelle Passions-Thema der Sonderausstellung würde das sogar nahe legen – an eine Art persönlicher Wiedergeburt oder dergleichen denken: die tiefblaue, ins Schwarze hinüberspielende Farbe auf der linken „Sternenmantel“-Installation weckt wohl nicht ganz unbeabsichtigt eine Todesassoziation, die sich vom weißen Kontrast (mit aufgelegtem Blattgold) des Negativs der Längerschen Jacke fast in beißendem Kontrast abhebt (vielleicht mag das offene Pentagramm auf dem linken Sternenmantel auch einen unvollständigen, zerstörten, toten oder dergleichen Menschen andeuten, ich kann hierüber wiederum nur spekulieren, jedenfalls ist dieses Bild, dieses Symbol von einer ungemeinen Stärke und Intensität); wohingegen die rechte Installation mit dem „Positiv“ der Jacke auf dem sichtlich hellen blauen Grund (Himmelsfarbe, Marienfarbe usw.) und v.a. die irgendwie nach oben schwebenden fünf „positiven“ Stoffreste etwas von neuem Leben an sich haben, das himmelwärts zu steigen scheint. Auch hier kann man wieder versucht sein, eine Parallele aus der Lyrik heranzuziehen, in diesem Fall den Anfang aus Rilkes Erster Duineser Elegie: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel / Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme / einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem / stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, / und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, / uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich. / Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf / dunkelen Schluchzens.“
Sollte diese Lesart eine gewisse Berechtigung haben, so ließe sich auch von hier aus der Titel Sternenmantel in einer erneuten Tiefendimension erschließen. Er bekäme fast schon eine mystische Qualität, insofern als man daran denken könnte, dass es dieser Mantel, diese Jacke ist, mit der man „zu den Sternen“ kommt. Da aber ad astra offenbar nur per aspera möglich ist, zeugen die Brandlöcher von der Glut des Heiligen, an der man sich verbrannt hat. Wie immer man das auch sehen will. Dass in diesem Zusammenhang jedenfalls der Name „Sternenmantel“ anfängt semantisch zu changieren, eine starke metaphorische Dimension bekommt, lässt sich vielleicht nachvollziehen.
Doch wieder zurück zum Sichtbaren. Um nämlich das Kunstwerk weiter abzurunden, ihm wiederum eine in gewisser Hinsicht warme Leichtfüßigkeit und augenzwinkernde Komponente zu verleihen, gehört zu der Gesamtinstallation auch wieder das für Länger so charakteristische Moment des Interaktiven, denn an einer anderen Seite dieses Raumes im Diözesanmuseum steht eine Photographie, ein über zwei Meter hoher, offener Küchenschrank, in dem diverse Küchenutensilien zu sehen sind, abermals ein Element aus Längers eigenem Leben, denn es handelt sich um eine Photographie eines Teils seiner eigenen Küche mit dem Titel „Sternenküche“. Nun gehören hierzu neun 38 x 38 cm große Holzquadrate, auf die (wiederum mit Blattgold) im Verhältnis zum Original übergroße Bildadaption der Applikationen des Bamberger Sternenmantels aufgetragen sind, Sterne, Sternzeichen usw., womit zum einen erneut die uns mittlerweile geläufige Protagonistenidee realisiert wird. Zum anderen sind diese neun Holztafeln wiederum nur mit Magneten auf der „Sternenküche“ befestigt, so dass der Betrachter in gewohnter Weise zum eigenen Mitgestalten eingeladen wird. Da dieses Kunstwerk eventuell insgesamt mit Zahlensymbolik arbeitet, könnte man bei der Zahl „neun“ dieser beweglichen Holztafeln mit den Goldzeichen auch an die neun Himmels- bzw. Engelschöre (vgl. hierzu Pseudo-Dionysius Areopagita: De caelesti hierarchia) denken, deren Aufgabe darin besteht, Gott den Allmächtigen in Ewigkeit zu verherrlichen, was der Gesamtaussage des Kunstwerkes durchaus entsprechen würde und auch mit den goldgeschmückten Gestirnen einen distinkten inneren Bezug aufweisen würde. Selbstverständlich sind andere Deutungen möglich, es sollte aber doch auf dieses integrale Element des „Sternenmantels“ hingewiesen sein, weil es leicht übersehen werden kann.
Schließlich gehören noch vier weitere Bilder bzw. Installationen zum Längerschen „Sternenmantel“, die im Vorraum zu den Sternenmänteln gehängt sind: vier Hemden aus Längers eigenem Besitz und ehemals von ihm getragen, auf blauem Hintergrund befestigt, auf dem die genaue Form des Bamberger Sternenmantels als Umriss mit Weiß gezeichnet ist. Die Hemden sind zusammengefaltet, es wurden Löcher in der Form diverser dem Bamberger Sternenmantel entnommenen Motive eingebrannt, unter denen wiederum Blattgold hervorleuchtet.
Das sind nur erste Annäherungsversuche an dieses Kunstwerk. In der Betrachtung der „Sternenmantel“-Installation tauchen immer wieder neue Dimensionen, neue Bezüglichkeiten, Spiegelungen, Tiefenstrukturen usw. auf; – zweifellos ein untrügliches Indiz für den Rang dieses Kunstwerkes! Aber auch wenn ich an dieser Stelle nicht erschöpfend über dieses Werk sprechen kann, so mag doch wenigstens mit diesen wenigen Zeilen ein möglicher Zugang dazu und zum ästhetischen Schaffen und Denken Längers insgesamt angedeutet sein, den jeder einzelne selbst weitergehen kann, um in diese wundervollen ästhetischen Längerschen Welt eigene Entdeckungen zu machen.
Abschließend noch ein Wort zur Ästhetik Längers im Vergleich zu Beuys. Alles, was bislang vorgebracht wurde, beschäftigte sich vorrangig mit der konzeptionellen Seite dieser Kunst. Immer wieder, auch von sehr verschiedener Seite, hat man an der zeitgenössischen Kunst kritisiert, dass sie zu konzeptlastig sei. Das ist insofern fehl am Platz, als sich etwas Konzeptionelleres als etwa eine Fuge von Johann Sebastian Bach oder auch die Konstruktion gotischen Maßwerkes im Bereich künstlerischen Schaffens und Gestaltens kaum finden lässt. Allerdings mag an diesem Vorwurf durchaus etwas Berechtigtes sein, wenn die Konzeptualität losgelöst und isoliert von einem interpersonalen Verhältnis Kunstwerk / Künstler – Rezipient ist: Was an Konzept, Theorien, Ideen usw. bei etwa Bach oder der Gotik insofern problemlos vermittelbar ist und auch de facto vermittelt wird, nämlich die überindividuelle, interpersonale Gesetzmäßigkeit von Mathematik und / oder Geometrie (Kontrapunktik der Fuge und Zirkelkonstruktion des Maßwerks), kann in der modernen, zeitgenössischen Kunst bisweilen den Eindruck von Hermetik hervorrufen.
Nachdem die schiere sinnliche Seite der Kunst, das direkte Schöne, aus verschiedenen Gründen immer fragwürdiger und haltloser wurde, wird man der Idee von Beuys viel abgewinnen können, dass Kunst nicht nur nicht von Können kommt, sondern in allerster Linie etwas mit Intentionalität zu tun hat, die in ihrer reduziertesten Form als Deklaration auftaucht: Kunst sei nichts anderes als das, was vom Künstler als Kunst ausgegeben wird. Die abstrakt-theoretischen wie auch konkret-ästhetischen Implikationen dieses Gedankens sind ohne Frage gewaltig, zum einen, weil sie sicherlich etwas treffen, zum anderen, weil sie als (gewollte) Provokation mit vielem brechen. Was wenigstens auf theoretischer, konzeptioneller Seite hierbei als echtes Manko erscheint, ist die Dimension der reinen Willkür: Ob ich einen Pflasterstein, eine Badewanne, Bushaltestelle, Fettformationen oder was auch immer qua Deklaration zum Kunstwerk erhebe – nichts außer meinem bloßen Willen, meiner ästhetischen Bestimmungslust, macht ein Kunstwerk zum Kunstwerk.
Dass diese Seite der Deklaration für die Konstitution eines Kunstwerkes zweifellos unerlässlich ist – und Beuys (und auch Duchamp) hat damit gewissermaßen einen immer schon vollzogenen Akt jedes denkbaren Kunstschaffens auf den Begriff gebracht, der den Generationen zuvor vermutlich nicht bewusst war –, wird man problemlos anerkennen können; dass aber damit der ästhetische Schaffensprozess noch nicht eingeholt ist, zeigt sich sehr schnell: Denn wenn diese Deklaration nicht auch – zunächst vom Künstler – als solche anerkannt wird, findet gar keine Deklaration statt. Ohne Anerkennung keine faktische Deklaration, ohne Deklaration keine mögliche Anerkennung. Jeder Deklaration als mehr oder minder technischem, intellektuellen, konzeptionellen Akt geht das voraus, was man unter Idee und Begriff der Anerkennung als praktisch-ästhetische Haltung bezeichnen könnte. Selbstverständlich kann ich, als bloßes Beispiel genannt, einen beliebigen Pflasterstein aus dem Trottoir reißen, dezisionistisch, ihn qua Deklaration und Installation in einem Museum oder dergleichen zum Kunstwerk erheben; aber es ist, man merkt es wahrscheinlich unmittelbar, etwas gänzlich anderes, wenn ich faktisch denselben Pflasterstein nehme und als Kunstwerk deklariere, ihn aber zuvor, aus welchem Grund auch immer, gewertschätzt, wenn ich ein positives emotionales Verhältnis zu ihm aufgebaut habe, er damit einen Bezug zu mir (als Künstler) bekommen hat und damit die Ebene reiner Technik, Intellektualität usw. verlassen wurde zugunsten einer emotionalen, persönlichen Bezüglichkeit gewechselt. Streng genommen wird man sagen dürfen, dass es die Anerkennung des Künstlers gegenüber seinem Kunstwerk ist (das zunächst sein kann, was es will), die ihn allererst in den Stand versetzt, dieses Objekt X auch als Kunst(werk) zu deklarieren.
Genau dies, diese Anerkennung, diese emotionale, warme Seite, findet in ausgeprägter Form in Längers Kunst statt. Nicht nur, dass es als materielle Elemente der Kunstwerke seine eigene Jacke, seine eigenen Hemden und sein eigene „Sternenküche“ sind, die er zur großen Sternenmantel-Installation arrangiert, Gebrauchsgegenstände also, die nicht anonym, unbezüglich vorliegen, sondern mit dem Mensch Jörg Länger sehr viel zu tun haben, auch die ganze ästhetisch leitende Idee der „Protagonisten“ ist von dieser warmen Wertschätzung getragen, zeugt von Längers Anerkennung der Kunst- und Kulturgeschichte. Natürlich wird auch damit nicht das Manko des Willkürlichen ausgeräumt – dadurch aber, dass es sich bei ihm um keine bloße, gewissermaßen eigenmächtige Setzung, Bestimmung, sprich Deklaration des Objekts X zum Kunstwerk handelt, sondern dem eine persönliche wertschätzende Anerkennung zugrunde liegt, bekommt diese „Willkür“ eine positive emotionale Brechung: Was bei Beuys manchmal technisch und kühl erscheinen kann, bekommt bei Länger, dadurch eine warme, mitunter vielleicht sogar liebevolle Note.
Und dies ist es wohl auch, was bei Länger die reine Konzeptualität seiner Kunst hinsichtlich eines interpersonalen Dialogs durchbricht: Wie seine Kunstwerke programmatisch und als physische Gegenstände zum (gestalterischen und geistigen) Dialog einladen, so ist es die Dimension der wertschätzenden Anerkennung und würdigenden Achtung in seinem Werk, die den Betrachter dazu stimuliert, die Idee der Protagonisten und deren Wertschätzung durch den Künstler zu erkennen und anzuerkennen und darin einen Schlüssel zu Längers Werken zu entdecken, so dass damit der Kreis des Dialogs formal geschlossen aber inhaltlich unendlich ausbaubar ist: Dialog via Längers Anerkennung der Protagonisten, Anerkennung des Betrachters der Protagonisten als solcher, Anerkennung des Betrachters der Anerkennung Längers der Protagonisten, Anerkennung der Anerkennung des Kunstwerkes Längers durch Länger und den Betrachter et vice versa – die Reihe ließe sich in sophistischer Spitzfindigkeit vermutlich beinahe endlos fortsetzen. Wichtig ist hierbei in erster Linie, auf welcher Ebene Länger Dialog/Interaktion in seiner Kunst verwirklicht, auf welcher Basis bei ihm Deklaration stattfindet, welche Stelle die konzeptionelle Seite seiner Kunst hat und von welchem Geist er bei seinem Schaffen getragen ist, nämlich dem der Anerkennung. Durch des Künstlers „holden, belebenden Blick“, so könnte man frei nach Goethe sagen, schafft Länger Kunst; damit ist vermutlich nicht nur über Länger, sondern evtl. auch über das Wesen von Kunst viel gesagt, das selten so plastisch und anschaulich vor Augen steht, wie im Werk Längers.
Somit wäre es wohl eigentlich nicht primär die Deklaration des Objektes X zum Kunstwerk (wobei von diesem Akt nicht abstrahiert werden kann), sondern der Blick, der Blick des Künstlers, der Pigmente, Formen, Töne, Worte usw. plötzlich aus seiner Alltäglichkeit herausholt und ihm einen Eigenwert zuschreibt, der das Kunstwerk als Kunstwerk erzeugt: Der Blick des Künstlers, der zum Kunstwerk belebende Blick. Dieser Blick ist als qualitas genommen in seiner Wurzel Liebe. Dies sieht man, lässt man sich auf den Dialog und die damit verbundene Anerkennung ein, in den Werken Längers in großartiger Weise.
Das Bamberger Diözesanmuseum als Ausstellungsort dieser Werke Längers – außer diesen drei bzw. vier hier besprochenen Werken hängen dort noch etliche mehr, letztlich alle einer eingehenderen Analyse wert – ist somit aus doppelter Hinsicht einen Besuch wert: Einerseits um die bedeutenden originalen, hier beheimateten Exponate, also die Vorlagen für die Längerschen, zu betrachten, andererseits und vor allem, um die (zumindest teilweise) mit diesen Bamberger „Protagonisten“ ins ästhetische Wechselspiel getretenen Werke Längers zu bestaunen. Letztere sind zwar auch ihrerseits jederzeit und ohne jede Frage eigens einen Besuch wert sind, aber gerade die direkte Bezugnahme der Werke Längers auf bestimmte Bamberger Exponate und die daraus entstehende ästhetische Dichte bzw. Neuschöpfung kann, zumal auch aufgrund ihres konstitutiven Zeitaspektes, im wahrsten Sinn des Wortes als einmalig bezeichnet werden.
© Dr. phil. Dr. theol. Matthias Scherbaum, Bamberg, 2014