Einsatz im Moor oder Länger sammelt schon länger Kunstgeschichten
Prof. Heinz Lohmann
Text zur Ausstellung in der Sammlung C15, November 2011 bis März 2012
Einsatz im Moor
oder
Länger sammelt schon länger Kunstgeschichten
Der Künstler macht keine halben Sachen. Jörg Länger ist immer schon mitten drin – zunächst sogar mit vollem Körpereinsatz. In seinen frühen Moorstücken agiert er als sein eigenes Modell. Allerdings wird hier schon deutlich, er verliert trotz der sichtbaren Nähe zu seinem Objekt nie die Distanz. Auch wenn er heute mit seinem Namen spielt, wird diese Bipolarität gewahrt. Dialektik beschäftigt den Künstler schon sein ganzes bewusstes Leben lang.
Bereits mit vier Jahren hat er erste Schlachtenbilder auf kleinformatige Papiere gekritzelt — meist mit zwei verschiedenfarbigen Stiften, je eine Farbe für „gut“ und eine für „böse“. Das Aufeinandertreffen verschiedener Positionen, das Ringen um das Grundsätzliche im Alltäglichen, das Herausarbeiten existenzieller Werte, das alles ist immer wiederkehrendes Geschehen in den Arbeiten von Jörg Länger. Dabei hat er ganz verschiedenartige Methoden und Techniken eingesetzt: Fotografie, Super 8 und 16 mm Film, Skulpturen, Installationen, Zeichnungen, Texte, Malerei, sogar Glasarbeiten. Und er hat sich den erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys auf seine Weise angeeignet. Die Längersche „Social-Sculpture-Art“ enthält Handlungen in einem sozialen Kontext, die ohnehin zu tun wären. Alltagsgeschehen wird bei ihm zum „So-Wie-So-Handeln“. Dazu zählt auch seine Ausprägung der „Minimal-Art“, eine sowieso zu schreibende Rechnung zum Kunstwerk zu erklären, zu rahmen und zu verkaufen — und seine Form der „Mail-Art“: „Postverkehr — hin und her“. Die Belastbarkeit der Post wurde sechs Jahre lang dadurch getestet, dass Postkarten immer wieder hin und her geschickt wurden, dabei wurde auch nicht vor Stempelmaschinenminen zurückgeschreckt.
Die Vielseitigkeit des Künstlers ist enorm, wobei Jörg Länger im Kern ein Sammler ist. So hat er immer wieder mit Alltagsgegenständen gearbeitet. Im Zentrum standen dabei Bewahrungs- und Archivierungsfragen. Und die haben eine Entdeckung zu Tage gebracht, die ihn von Stund‘ an begleiteten: quadratische Kaviarkisten. Keine Seite ist länger! Das bleibt, wie Länger bemerkt, dem Künstler vorbehalten. Da die Kistendeckel für die Regalwände der Sammlung Länger nicht benötigt wurden, bilden sie bis heute vielfach den Maltuchhintergrund — so auch in seinen aktuellen Werkgruppen. Es handelt sich um die „paraSCHUHtisten“, die „Socky Mountains“ und die „CAPital Investments“. Allein die Titel zeugen von der Sprachakrobatik Längers. Auch spielt er mit der Doppeldeutigkeit der Wortkombinationen. Und immer wieder tauchen in seinen Werken die Protagonisten auf, jene Helden, Pioniere und Vorreiter — oder besser noch, Vorkämpfer. Es handelt sich um Personen aus allen Geschichts- und Kunstepochen. Diese aus Linoleum geschnittenen und im Handdruck in Malereien und Zeichnungen eingefügten Figuren sind zum Markenzeichen des Künstlers geworden. Erst sie ermöglichen ihm seine „Narrativen Kompositionen“, seine im Erzählstil gestalteten Kunstwerke.
Was ist selbstverständlicher als eine Socke, eine Mütze oder ein Schuh? Jeder weiß sofort, was das jeweils ist, und wozu es nützt. Warum also Fragen stellen? Alle, die die neuen Arbeiten von Jörg Länger allerdings gesehen haben, sind sich nicht mehr im Klaren, ob sie die Funktionsbreite der genannten Dinge bisher ausreichend erfasst haben. Im Gegenteil, sie sind mit Sicherheit neugierig geworden. Und da sind dann doch wieder die Fragen: Was ist das? Was soll das? Diese Irritation nutzt Jörg Länger. Er zwingt uns, genau hinzuschauen. Er tut das humorvoll, augenzwinkernd — ja er umgarnt uns mit seinem Witz. Aber Vorsicht! Was so leicht daherkommt, ist keineswegs oberflächlich – ganz im Gegenteil.
Jörg Längers Arbeiten sind nicht zufällig in den letzten Jahren in Kirchen gezeigt worden. Das hängt sicherlich mit seiner Sensibilität und Verletzlichkeit einerseits und seiner Klarheit und Ernsthaftigkeit andererseits zusammen. Der Schluss, Länger sei ein klerikaler Künstler, wäre ein Missverständnis. Seine Gedankenwelten sind vielmehr metaphysisch geprägt. Er beschäftigt sich immer wieder mit der Gesamtheit des Seins, also mit philosophischen Grundfragen, aber eben jenseits des Erfahrbaren im Bereich des Spekulativen. Das zeigt auch die Werkreihe „et in arcadia ego“. Seine Arbeiten bleiben an vielen Stellen mystisch. Sie erlauben uns, eigene Interpretationen zu suchen und, wenn es gut geht, auch zu finden. Mit den „CAPital Investments“ gibt uns Jörg Länger ein Hilfsmittel für unsere Deutungsbemühungen mit auf den Weg. Er verwendet nämlich in dieser Werkreihe von seiner Mutter gefertigte Mützen. Er hat seine Koproduzentin extra mit einem Akquisitionsbrief angeworben. Entstanden ist eine Gruppe von Arbeiten, die den Gedanken im wahrsten Sinne des Wortes Form geben, die ansonsten im gesellschaftlichen Leben unserer Tage weitgehend verloren gegangen ist.
Tradierte Autoritäten sind längst allerorten in Frage gestellt. Überkommene Institutionen haben ihre Bedeutung eingebüßt. Menschen suchen nach Halt, allerdings nicht nach Formierung sondern nach Begründung. Die gegenwärtige Politik bietet viel zu oft nur kurzfristige „Lösungen“. Wenn Opportunität über Programmatik siegt, entsteht keine Verlässlichkeit. Wenn der Staat mit seinen Organen sich nicht an die eigenen Regeln hält, warum sollen das dann die Bürger tun? Wir brauchen dringend einen neuen Gesellschaftskonsens. Der ist ohne offenen Diskurs nicht möglich. Kunst kann Politik nicht ersetzen, aber Kunst kann Katalysator sein. Sie kann auch anstoßen. Jörg Länger ist ein Künstler, der genau das tut — und zwar nicht mit großen Gesten, mit pathetischen Attitüden. Ironie, in die er sich selbst einbezieht blitzt in seinem Werk allenthalben auf. Aber immer ist er in vollem Einsatz – im Moor und anderswo.
© Prof. Heinz Lohmann, Hamburg, 2011